Polivka hat einen Traum (German Edition)
nicht, dass wir kulturlos sind. Und Leute wie der Jeschko richten unsere Kultur zugrunde, selbstverständlich mit der tatkräftigen Unterstützung von Politikern und Presseleuten.»
Zustimmendes Nicken der drei anderen Franz Meiers. Einzig Polivka bleibt ungerührt. Er leert sein Seidel, setzt es dann bedächtig auf dem Resopaltisch ab. «Und deshalb», sagt er mit heiserer Stimme, «habt ihr ihn gemeinsam abserviert. Wahrscheinlich hier, im Orlik. Habt ihn dann hinüber zu den Gleisen transportiert und in den leeren Zugwaggon gesetzt. Ein kleiner Mord, die Leiche auf dem Weg nach Tschechien, und jeder hat ein Alibi.»
Normalerweise müsste seinen Worten jetzt ein fassungsloses, ein empörtes oder schuldbewusstes Schweigen folgen, aber nein: Die unverblümte Anklage ruft nichts als allgemeine Heiterkeit hervor. «Und wenn’s so wäre», lacht der Hagere, «was täten S’ denn dann machen, Herr Inspektor?»
Diese Frage stellt sich Polivka freilich auch gerade. Wenn die vier vorgeblichen Meiers schuldig sind und er
1. sie arretieren wollte, müsste er
a) sich vorher um Verstärkung oder wenigstens um eine ausreichende Zahl an Handschellen bemühen.
b) in Zukunft damit leben, seine persönliche Meinung der amtlichen Dienstpflicht geopfert zu haben. Er kann sie nämlich irgendwie verstehen, diese Männer, mehr noch: Er kann ihrer Affinität zum unkontrollierbaren Schmutz, zum unhygienischen Denken nur beipflichten.
2. sie laufen ließe, würde das seine ohnehin schon inferiore Aufklärungsrate noch weiter verschlechtern. Die Folge wäre eine Flut an Vorwürfen und Rügen:
a) vom Obersten an den Bezirksinspektor Polivka,
b) vom Polizeipräsidenten an den Obersten,
c) vom Innenminister an den Polizeipräsidenten,
d) vom Bundeskanzler an den Innenminister,
e) von den Zeitungsredakteuren an den Bundeskanzler.
«Ich weiß es nicht», sagt Polivka nun also wahrheitsgemäß. «Ich weiß nicht, was ich machen tät.»
«Na gut», ertönt mit einem Mal die Stimme von Sir Hannes, der sich unbemerkt genähert hat und hinter ihn getreten ist, «dann werden wir Ihnen halt helfen.» Noch ehe sich Polivka umwenden kann, durchzuckt seine Arme ein stechender Schmerz: Sir Hannes hat sie umklammert und biegt sie jetzt schmerzhaft nach hinten.
Franz Meier, Franz Meier, Franz Meier und Franz Meier sehen Polivka mitfühlend an. Wie auf ein Zeichen stehen sie von ihren Stühlen auf und greifen in die Innentaschen ihrer blauen Arbeitsjacken.
«Um Himmels willen», stöhnt Polivka, die Augen schreckgeweitet. «Gurken!» Nie zuvor hat er so lange, dicke Exemplare der Cucumis sativus gesehen. Waffen sind das, ekelhafte Mordwerkzeuge, angeblich gesund und umweltfreundlich, aber zugleich die entsetzlichsten Inkarnationen moderner biologischer Kriegsführung.
Schon dringen die vier Meiers auf ihn ein, schon steigt ihm der penetrante Geruch des Gemüses in die Nase, schon spürt er, wie sich glatte, kalte Gurkenhaut in seinen Rachen zwängt. Sir Hannes hebt nun an, ein Lied zu trällern, und die Meiers fallen frohgemut mit ein. «Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett», singen die Mörder, während Polivka langsam erstickt. Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett …
Seit drei Nächten geht das nun schon so. Der arme Polivka ist schweißgebadet, sein Pyjama vollkommen durchnässt. «Scheiß Grünzeug», murmelt er, «Scheiß schlanke Linie» und «Scheiß Blutfettwerte.»
Eine Woche Rohkost und Gemüsesäfte haben, wie von der Diätberaterin versprochen, einen neuen Menschen aus ihm gemacht. Einen schlaflosen, nervösen und gereizten nämlich. Heute Mittag, so sinniert er, könnte er eine Auszeit nehmen. Könnte sich beim Orlik einen Schweinsbraten bestellen und ein Krügel Bier, um seine Batterien wieder aufzutanken. Die unerlaubte Phantasie hebt augenblicklich seine Stimmung, sie vertreibt die Todesangst aus seinen Gliedern.
«Vier Gurkenmörder namens Meier», schmunzelt Polivka, «so etwas muss einem einfallen.» Nach und nach verblassen die Erinnerungen an die Einzelheiten seines Albtraums – alle bis auf eine: Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett , tönt es nach wie vor in Polivkas Ohren.
Das also hat ihn aufgeweckt. Das Handy auf dem Nachtkästchen, der Klingelton des Kommissariats. Polivka seufzt und setzt sich auf, um den Anruf entgegenzunehmen.
«Polivka», meldet er sich mit unwirscher Stimme.
«Sagen Sie jetzt bitte nichts, Chef, ja, ich weiß, es ist noch nicht einmal halb sechs. Wir haben aber einen Toten.
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