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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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Schlafwagenabteil zugewiesen: Erste Klasse, russische Bauart,
     mit dunkler Holzvertäfelung und einem mächtigen Spiegelschrank. Und ganz sanft, mehrfach gefedert, wird man, einem hohen KGB-Offi zier gleich, durch die Nacht gebracht.
    Ein anderes Mal bin ich mit einem Mietwagen unterwegs. An einer Landstraße tanke ich, verlange dann eine Rechnung. Der Tankwart
     fragt: »Wieviel soll ich denn draufschreiben?« Er schlägt ein Geschäft vor: Ich zahle mehr, als ich getankt habe, er wiederum
     schreibt noch einmal einen weitaus höheren Betrag auf die Rechnung. Er schließt, leider nicht ganz richtig, ich befände mich
     auf einer Dienstreise. Die Rechnung würde ich doch ohnehin, erklärt er umständlich, von der Firma, in deren Auftrag ich mit
     einem Mietwagen reise, zurückerstattet bekommen. Er blickt mich durch seine Nickelbrille verständnislos an, denn ich möchte
     dem Geschäft keinesfalls zustimmen. Aber wir würden doch, sagt er kopfschüttelnd, beide als Gewinner aus dieser kleinen Unregelmäßigkeit
     hervorgehen.
    Am Ende unserer kleinen Meinungsverschiedenheit, in deren Verlauf ich mich mit geradezu preußischer Selbstbeherrschung durchsetze,
     wirkt er sehr ratlos, knüpft sich seine geräumige Weste zu, als sei mit mir ein eisiger Luftzug in sein Tankstellenhäuschen
     hineingefahren, und fixiert mich mit einem mißtrauischen Blick. Ich bin ihm ein seltsames, einem fernen Planeten |83| entsprungenes Wesen, das nur wenig von der Welt versteht.
    Ach, die Korruption, sie ist so allgegenwärtig. Niemanden hat es in Polen überrascht, als Transparency International nachwies,
     daß das Land im EU-Vergleich in dieser Hinsicht Spitzenreiter ist.
    Ein ausgesprochen häufig verwendetes polnisches Wort ist »załatwiać«. Es heißt soviel wie »es irgendwie hinkriegen«, »sich
     durchwurschteln«, aber es heißt auch: »jemanden reinlegen«. Seine Bedeutung changiert zwischen den beiden Polen, die mir in
     Warschau so häufig begegnet sind, der Sünde und der Unschuld, des Opfers und der Auferstehung. »Załatwiać« vereint Unvereinbares.
    Als ich Poznań besuche, das nur zweieinhalb Stunden von Berlin entfernt ist, zahle ich in einem Taxi, das mich vom Bahnhof
     in die Innenstadt bringt, 25 Złoty, ein anderes Mal reguläre 12 Złoty fünfzig Groszy. Es muß in diesen Taxis einen geheimen
     Schalter geben, einen magischen Knopf, der den Taxameter genau auf die doppelte Geschwindigkeit beschleunigt.
    Die überteuerte Fahrt ist zumeist deutlich freundlicher, der Taxifahrer erzählt, gewiß um den Fahrgast durch seine Erzählkunst
     abzulenken, mit guter Laune Familienanekdoten. Ich habe es aufgegeben, auf den Betrug hinzuweisen. Es würde eine Geschichte
     von Zahnarztkosten und Kindern folgen, die sich sehr in die Länge ziehen kann.
    |84| Man war und ist Meister in der Verstellungskunst. Polen hatte schließlich bereits in seiner Adelsrepublik ein ausgeprägt aristokratisches
     Kulturleben entwickelt, mit allen Facetten intriganter Schauspielkunst. Nicht zuletzt hatten die Italiener, deren Verstellungskunst
     seit jeher gerühmt wird, Renaissance-Städte wie Krakau mit ihren Kunstwerken und Baukünsten bereichert.
    Als sich Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit protestantischer Hingabe einer inszenierungs- und monarchiefeindlichen
     Moral hingab, wurde Polen von der europäischen Landkarte gelöscht; wurde aufgeteilt zwischen Preußen, Rußland und Österreich.
     Auf dem Gipfel des Aufklärungsjahrhunderts also, das die Kongruenz von innerer und äußerer Schönheit propagierte, Moral und
     Ausdruck, von Seele und Körper; ein Jahrhundert, das ein verinnerlichtes, protestantisches Gewissen predigte, zu dieser Zeit
     wurde Polen als Staat ausradiert. Womöglich deshalb hat sich die Verstellungskunst der alten Adelsrepublik konserviert.
    Gewöhnlich spricht man schlicht vom »Improvisa tionstalent « der Polen. Galt es einst, die Behörden zu bestechen, mit diskreten Briefumschlägen oder Naturalien, um früher als geplant
     eine Wohnung zu erhalten oder eine Ausreisegenehmigung, so hat sich dies nahtlos in die Dritte Polnische Republik hinübergerettet.
     Noch heute rühmt sich mein Vater dafür, in jedem Geschäft einen Rabatt auszuhandeln. Es ist der Stolz |85| des Regelbruchs, der den gewohnten Lauf der Dinge unterbricht, der der Ausnahme der Regel huldigt. »Załatwiać« heißt schließlich,
     gesellschaftlichen Normen zu mißtrauen.
    Anders in Deutschland, wo man, sich am

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