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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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verdammte. Polen war gegen die europäische Verfassung,
     und Erika Steinbach zierte fast jedes polnische Magazin mit ihrem Antlitz.
    Erika Steinbach plant ein Zentrum gegen Vertreibungen. Sie ist, nach Merkel, die berühmteste deutsche Politikerin in Polen.
     Ihr werden auf Titelschlagzeilen Springerstiefel montiert. Zu einer weiteren, zweifelhaften Berühmtheit gelangte der Verein
     Preußische Treuhand, der die Interessen enteigneter Grundbesitzer aus Schlesien vor Gericht durchsetzen will. Der polnische
     Sejm verabschiedete daraufhin einstimmig eine Resolution über Kriegsreparationen von Deutschland. Sie war maßgeblich von den
     Kaczyński-Brüdern initiiert worden, allerdings für die polnische Regierung nicht bindend.
    Nur die Russen werden zu einem noch größeren Feindbild der Polen stilisiert als derzeit die Deutschen. Und es glaubt mir niemand
     in Polen, daß Erika Steinbach in Deutschland nahezu unbekannt ist.
    Für Wirbel hat Lech Kaczyńskis erster Besuch in |89| Deutschland gesorgt. Eine Gruppe Schwuler und Lesben hat seine Rede an der Berliner Humboldt-Universität gestört. Seither
     werden Nazikarikaturen in polnischen Zeitungen abgedruckt, SA-Leute tragen Armbinden mit Regenbogenfarben statt mit Hakenkreuzen.
    Mitten auf meiner Reise werden die Kazyńskis gewählt, die Sheriffs von Warschau, so werden sie genannt. Und sie drohen meine
     schönen Thesen über Warschau, die ich mir zurechtgelegt hatte, zu zerstören. Die These, daß in Polen die Sünde und die Unschuld
     vereint seien, daß man dem ewig schönen Spiel der katholischen Ablaßdoktrin fröne.
    Haben die Polen wirklich ihre weiße Weste abgelegt?
    Ich hätte schon vor meiner Reise mißtrauisch sein sollen. Denn ich hatte gelesen, wie schwer sich das Land damit tat, seine
     eigenen dunklen Flecken in der Geschichte aufzuarbeiten. Jedwabne ist das Stichwort. Jedwabne im Nordosten von Polen wurde
     von sowjetischen Truppen besetzt, so wie es im Hitler-Stalin-Pakt beschlossen worden war. Im Juni 1941, beim Wehrmachtsvorstoß
     während des Unternehmens Barbarossa, wurde der Ort von Nazideutschland okkupiert. Doch es waren polnische Einwohner, die kurz
     darauf die ansässigen Juden hinrichteten. Das hatte der amerikanisch-polnische Historiker Tomasz Grosz kürzlich in seinem
     Buch »Nachbarn« aufgezeigt. Und Polen erschienen erstmals nicht nur als Opfer deutscher |90| Nazi-Besatzung – sondern auch als Täter, die sich an ihren wehrlosen jüdischen Nachbarn vergriffen hatten. Die Offenbarung
     dieses lange gehüteten Geheimnisses war ein Schock, worauf die wichtigste Auseinandersetzung Polens mit sich selbst nach der
     Wende stattfand. Die kleine Ortschaft verschwand monatelang nicht von den Titelseiten der Zeitungen und vom Fernsehbildschirm.
    Die Partei der Kaczyński-Brüder etablierte sich ausgerechnet in der Zeit, als die Jedwabne-Greuel zutage traten. Jarosław
     Kaczyński sagte über die Jedwabne-Aufklärer: »Sie versuchen uns zu verleumden.« Man wolle wohl, sagte er, aus den Polen die
     Verbündeten Hitlers machen.
     
    Auf meiner Reise traf ich auch polnische Verwandte wieder. Tante Ania und ihren Bruder, Onkel Tadek. Sie beschwichtigen mich:
     Gegen die Deutschen hätten sie nun nichts, sie haben uns ja schon ein paarmal besucht, der Rhein sei so schön. Mit dem Rest
     ist man einverstanden: mit den großen polnischen Familienwerten, die vor dem Raubtierkapitalismus geschützt werden müssen,
     mit dem Nationalstolz des Volkes von Helden und Opfern, dem katholischen Erbe des Landes.
    Es paßt nicht in mein Bild von Polen, daß meine Verwandten von der rigiden Moral der Kaczyńskis ergriffen sind, ich hatte
     sie wie weichgezeichnet in Erinnerung behalten.
    |91| »Daß die Kaczyńskis nun gegen Minderheiten, gegen Homosexuelle vorgehen, wie findet ihr das?« frage ich sie. Und sie antworten:
     »Na endlich. Es wurde auch Zeit.«
    Und ich kam mir, der ich bei Lehrern mit selbstgestrickten Pullovern und linksliberalem Gewissen die Schulbank gedrückt hatte,
     sehr fremd vor. In dem Land meiner Kindheit.

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DER VERFOLGTE
    UND DANN STREIFT SICH der beleibte Besitzer der Bar die blonde Perücke über die Glatze, zieht sich ein rotes Kleid über und
     tanzt hinter dem Tresen, mit weit ausgestreckten Armen, als gelte es, die ganze Welt zu umarmen. Er kreist um sich selbst,
     schließt die Augen, singt den alten russischen Schlager von Alla Pugatschowa mit, der aus den Lautsprechern dringt: »Die Aristokraten
    

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