Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
sich ihr orangefarbenes Oberteil, das etwas spannt, glatt und
blättert in einer Illustrierten.
Ja, sagt Möller und dehnt sich – er ist prächtiger Laune, er strahlt –, er bekomme häufig glühende Liebesbriefe, so bekannt
sei er mittlerweile hier. Zwei-, dreimal habe er sich sogar auf Dates eingelassen, es allerdings schnell wieder bereut, da
man ihn sogleich habe heiraten wollen.
Regelmäßig erhalte er auch Briefe von einer Rentnerin, einer ehemaligen Konditoreifachangestellten, die ihm immer Bonbons
in die großen Briefumschläge stecke. Und Möller erzählt, daß diesem Kontakt eine geradezu tragische Komponente innewohne.
Denn diese Rentnerin beichtete ihm einmal, sie schreibe ihm so häufig, da er einem deutschen Landser so ähnlich sehe, in den
sie sich als 12jähriges Mädchen verliebt |76| habe. Eine Weile habe sie ihn in einer Scheune bei Kielce versteckt gehalten. Doch der nach Rache lüsterne Mob des Dorfes
habe den Deutschen kurz vor Kriegsende aufgegriffen und hingerichtet. Nackt habe er dagelegen auf einer Wiese, mit einem Einschußloch
in der Stirn, um das herum das Blut bereits vertrocknet war, als sie ihn entdeckte. Und dieses Bild des hingerichteten Soldaten
gehe ihr ein Leben lang nicht aus dem Kopf.
»Ich bin der Ansprechpartner für alle deutsch-polnischen Schicksale«, sagt Möller. Denn die Polen kennen keine Deutschen,
denen sie ihre Geschichten erzählen könnten, und so erzählten sie sie nun ihm. Er, Möller, sei so etwas wie das Ventil für
das Kriegstrauma der Polen.
Unser Gespräch droht so traurig zu werden wie eine Folge von »M jak Miłość«, und ich entschließe mich, die grundsätzlichen
Mentalitätsunterschiede zwischen Polen und Deutschen zur Sprache zu bringen. Stereotypen, aus denen sich Möllers Kabarettprogramm
speist.
»Die Gastfreundschaft!« ruft Möller laut aus und erzählt, wie er kürzlich in Berlin war. Bei einem Freund. Daß dieser Freund,
der in einer WG wohnt, ihm Speis und Trank verweigert habe. Ihm also zumindest nichts angeboten habe. Dies sei in Polen nun
wirklich ganz undenkbar, wo man, sobald man nur den Fuß über die Schwelle setze, bereits Wurst und Alkohol in die Hand gedrückt
bekomme. Heimlich habe er sich in der Berliner Küche am Schinken laben müssen. Außerdem sei im |77| Badezimmer ein Sparschwein aufgestellt gewesen, in das jeder, der duschte, ein 50-Cent-Stück habe hineinwerfen müssen, damit
die Kosten für Warmwasser gerecht aufgeteilt seien. Das sei eine engherzige Gerechtigkeitsvorstellung. Und für Polen, die
ausladende, an Verschwendung grenzende Gastmahle zelebrierten, wäre dieses Sparschwein ein Skandal, ja eine Kriegserklärung
an den Gast, von dem man nun nicht erwarte, daß er sich an den laufenden Kosten der Wohnung beteilige.
Ich wende ein, daß gerade die polnische Gastfreundschaft auch ihre Schattenseiten habe. Wie oft habe ich, als ich polnische
Verwandte und Freunde besuchte, mit ansehen müssen, wie man mir den spärlichen Wohnraum, der für eine Familie schon zu knapp
bemessen war, fast gänzlich räumte. Und wie selbst tattrige Großväter mir ihr Bett zur Verfügung stellten, um dann die eigenen
müden Knochen auf den harten Holzboden zu betten. Ich selbst schlief dann eigentlich sehr schlecht, fühlte mich, einem dekadenten
König gleich, ganz unangemessen wie auf Händen getragen.
Die Gastfreundschaft, fahre ich fort, habe erdrückende Seiten, dauernd müsse man Würste essen und habe ein Völlegefühl vor
lauter Borschtsch und Wodka. Außerdem erzeuge die Enge – der Umstand, daß auf nur wenigen Quadratmetern sich ganze Großfamilien
dicht gedrängt zum Abendessen versammeln – Herzrasen. Demjenigen Gast zumal, der ohnehin zur Klaustrophobie neigt. Und abschlagen
könne man die |78| angebotenen Speisen nur mit die Höflichkeitsgrenze schnell überschreitender Vehemenz.
Nun, sagt Möller, man müsse die Codes kennen. Ein Angebot habe man genau dreimal abzuschlagen, bevor dies die Gastgeber akzeptierten,
und so müsse man sich auch am Telefon mindestens fünfmal verabschieden, bevor man den Hörer aufzulegen sich erlauben dürfe.
Steffen Möller nimmt einen Schluck Kaffee, überlegt kurz und sagt, es gebe noch einen weiteren, sehr grundlegenden Unterschied
zwischen Polen und Deutschen, der ihm aufgefallen sei: »In Polen kennt jeder seine Blutgruppe. Jeder.«
Das zweifele ich an. Da steht Möller auf und setzt sich zu seiner früheren Studentin,
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