Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
die augenblicklich errötet und mit der
Rechten ein wenig mit ihren Haaren spielt. Sie sagt, nein, da müsse sie ihn enttäuschen, nein, sie kenne ihre Blutgruppe wirklich
nicht.
Natürlich, sagt Möller mit gespielter Enttäuschung, immer gebe es diese Ausnahmen von der Regel. Im Prinzip stimme die Sache
mit der Blutgruppe aber schon.
Es sei seltsam, sage ich etwas unvermittelt, daß wir geradezu entgegengesetzte Lebensläufe hätten. Er sei einer der wenigen
Deutschen, die sich nach Polen wagten, um hier zu leben, und ich sei ein Pole, der nach Deutschland ausgewandert sei. Und
wir hätten gemeinsam, daß wir nun radebrechend dieses Land erkundeten.
»Sind Sie eigentlich bei der Fußball-WM für die |79| Deutschen oder die Polen?« fragt Möller. Die Frage war unausweichlich, und ich antworte ausweichend, daß die Polen keine Turniermannschaft
seien, gegen die Deutschen hätten sie bisher nicht ein einziges Mal gewonnen. Das würde auch erklären, fügt Möller hinzu,
weshalb die Polen, die das internationale Fußballgeschehen sehr wohl verfolgten, nicht einmal den Namen ihres eigenen Nationaltrainers
kennen.
Das zweifele ich an. Da steht Möller auf und setzt sich wieder zu seiner früheren Studentin, die ihn strahlend anblickt und
ihre Illustrierte zur Seite legt. Sie sagt, nein, da müsse sie ihn enttäuschen, nein, den Namen des Nationaltrainers kenne
sie wirklich nicht.
»Sehen Sie«, sagt Möller, »wie sehr die Stereotypen doch stimmen.« Dann verabschiedet er sich, sagt, daß er gerade seine Wohnung
renoviere, und den Handwerkern, na ja, denen müsse man hin und wieder über die Schulter schauen.
Zwei Tage später steht Möller auf der Bühne. In einem kleinen Restaurant in Poznań. Es heißt Aplauz, das Scheinwerferlicht
strahlt ihn an, das Publikum trinkt Bier, und Möller erzählt zum Aufwärmen einen Witz: »Kommt ein Zug aus Berlin. Der Schaffner
ruft: ›Wrocław, Wrocław, früher Breslau.‹ Nächste Station. Der Schaffner ruft: ›Gliwice, Gliwice, früher Gleiwitz.‹ Und am
nächsten Halt: ›Zabrze, Zabrze, früher Hindenburg.‹ Steigt ein alter Pole aus, geht zum Schaffner |80| und sagt: ›Do widzenia – Auf Wiedersehen – Früher: Heil Hitler.‹« Über die Pointe wird heftig gelacht. Und Möller reiht im
Laufe des Abends seine Alltagsbeobachtungen aneinander. Erzählt, daß in Berlin die Kneipen vor allem an Weihnachten besonders
voll seien, was die Besucher für einen schlechten Witz halten, denn Weihnachten sei ja das Fest der Familie, da gehe man doch
nicht aus. Und wenn doch, dann seien die Deutschen ein gottloses, finsteres Volk. Und Möller erzählt, daß alle Polen glaubten,
daß sich deutsche Frauen nicht unter den Achseln rasieren. Daß stimme zwar sehr häufig, aber es gebe Ausnahmen, sagt er. Dann
rühmt er die polnische Gastfreundschaft und das Improvisationstalent der Polen. Und nach der Vorstellung gibt er Autogramme
und wird von einem dickbäuchigen Besucher, dem er eine CD mit seinem Programm verkauft, gefragt, ob es Tabus gebe. Dinge,
über die man in Polen nicht scherzen dürfe.
Da antwortet Möller ganz ernst. Er sagt, der Papst sei ein Tabu wie auch der Skispringer Adam Małysz, und auch, nun ja, das
Essen. Das Essen sei so gut in Polen nicht. Da scheint es für einen Moment, als habe der Mann den Kauf der CD bereut. Als
habe ihn Steffen Möller betrogen.
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DIE SHERIFFS
BESONDERS LEBHAFT SIND MIR diejenigen Episoden meiner Polenreise im Gedächtnis geblieben, die mir die Klischees der Deutschen
über die Polen bestätigten. Klischees, die von Korruption und vom Verbrechen künden.
Eines Abends, es ist 23 Uhr, steige ich in einer kleinen Stadt an der masurischen Seenplatte in einen Nachtzug, kämpfe mich,
schwer bepackt, zum Schaffner vor, um eine Fahrkarte zu lösen. Der Schaffner, der mit Mühe nur seinen untersetzten Körper
durch einen schmalen Gang preßt, zuckt mit den Schultern. Der Zug sei ausgebucht. Dann grinst er, kaum wahrnehmbar, weist
mich in sein Schaffnerabteil. Natürlich könne man da etwas machen, sagt er, breitet die Arme aus, er hat sogleich meinen deutschen
Akzent erkannt, zeigt mit einem Finger auf eine Zahnlücke, sagt, die Ärzte in Polen seien teuer. Außerdem habe er Kinder.
»Kinder« ist immer das Stichwort. Dann muß man bereit sein, den Fahrpreis zu zahlen, ohne einen Beleg |82| oder eine Fahrkarte zu erhalten. Dafür bekommt man ein geräumiges
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