Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
einem
Keuschheitsgelübde folgend, die Hand. Da fiel Rüdiger mit seinem Heer in Polen ein. Und Wanda stürzte sich in die Weichsel.
Lieber den Freitod wählen, habe sie sich gedacht, als einen deutschen Fürsten heiraten.
Ausgerechnet heute also, als ich »M jak Miłość« verfolge und langsam, selbst etwas melancholisch geworden, einschlummere,
ist Stefan Müller nicht auf dem Bildschirm zu sehen.
Doch der Schauspieler Steffen Möller ist in Warschau zu finden. Ich treffe ihn am nächsten Morgen in einem Café in der Ulica
Chłodna, die an das alte jüdische Ghetto grenzt. Kerzen brennen auf den Tischen, draußen nieselt es leise vor sich hin, Passanten
werfen müde Blicke herein. Das Café selbst erinnert an Berliner Etablissements, die, wie dieses hier, mit Retromöbeln vollgestellt
sind. Leise Beats tönen aus den Lautsprechern, ein Sonntagnachmittagsgefühl macht sich breit. Möller klärt auf: Er sagt, die
Figur Stefan Müller sei für |73| einige Zeit nach Deutschland verreist. Sie komme aber bald wieder. Und dann wird sich Müller wieder verlieben. Und wird bald
darauf von seiner neuen Geliebten verlassen werden. So sei die Figur nun einmal angelegt, sagt Möller. Sie ist die Inkarnation
des deutschen Versagers.
Möller, 38 Jahre alt, im karierten Hemd und Cordhose, sieht höchst unscheinbar aus, trägt sein braunes Haar zum Seitenscheitel
gekämmt, hat ein jungenhaftes Gesicht, das ihm etwas Harmloses verleiht, und spricht ein nicht akzentfreies, aber flüssiges
Polnisch.
1995 ist er nach Warschau gezogen. Da hatte er gerade sein Theologie- und Philosophiestudium in Berlin abgeschlossen und schrieb
sich, selbst nicht recht wissend, warum, für einen polnischen Sprachkurs in Warschau ein. Bereits im Zug habe ihn diese seltsame
Sprache fasziniert. Ständig starrte er auf ein Schild, das im Zug neben einem kleinen Griff montiert war: »Hamulec Bezpieczeństwa«
– »Notbremse«. Das klang ihm hinreichend exotisch, um längere Zeit in dieser Stadt, die nur wenige Stunden von Berlin entfernt
liegt, zu bleiben. Daß daraus nun mehr als ein Jahrzehnt werden würde, habe er sich damals allerdings nicht ausgemalt.
In Warschau lehrte er zunächst Deutsch an der Universität. Und wenn er nach dem Unterricht durch die Straßen schritt, murmelte
er polnische Wörter vor sich hin, so lange, bis er sie beherrschte. Daß er in Polen |74| blieb, sagt Möller vorauseilend, da ihm dies oft unterstellt würde, habe nicht an einer Frau gelegen. Die Liebe, sie kam viel
später hinzu.
Möller begann seine Erlebnisse auf polnisch aufzuschreiben, studierte ein Kabarett-Programm ein, das ihn schnell auf den Kleinkunstbühnen
bekannt machen sollte. Nichts liebten die Polen mehr, als von Ausländern gerühmt zu werden. Natürlich wurden sie zwar in Möllers
Programm satirisch überzeichnet, aber stets liebenswert. Und Möller sprach vor ausverkauften Häusern, erzählte, wie schrecklich
die polnische Sprache sei und wie sehr doch die Polen, einer langen Tradition des Absurden gewiß, sich im Provisorischen,
im Chaotischen, im nur Halbfertigen eingerichtet hätten und daß dies doch ein angenehmer Zug an ihnen sei. Auch dann, wenn
sie einem das Leben schwer machten, so unendlich schwer, auf Behörden und mit Handwerkern, die allerdings mit ihrer sippenhaften
Korruption und ihrer Alltagsanarchie Möllers Leben entschieden bereichert hätten.
Bei einem seiner Auftritte saß die Produzentin von »M jak Miłość« unter den Besuchern und rief ihn wenige Tage später an.
Ob er in der Serie nicht eine Rolle übernehmen wolle? Möller sagte sofort zu. Und wurde bald darauf auch für andere Fernsehformate
engagiert. Er moderierte die polnische Variante von
Wetten, daß …?
und eine Europa-Show. Selbst in den Werbeblöcken, die zwischengeschaltet werden, ist er zu |75| sehen: in einem Spot für das Magenmittel »Ranimax«, in dem er ein Völlegefühl hat. Er erhält den polnischen Bambi, die »Telekamera«,
und das deutsche Bundesverdienstkreuz für sein europäisches Engagement. Möller ist in Polen das Pendant zum Niederländer Rudi
Carrell in Deutschland.
Unser Gespräch, das zunächst um Möllers Lebenslauf kreist, wird immer wieder unterbrochen. Möller erfüllt Autogrammwünsche.
Auch den einer blonden, ausgesprochen stark geschminkten, ehemaligen Schülerin des früheren Deutschlehrers, die sich lächelnd
bedankt. Sie setzt sich an einen benachbarten Tisch, streicht
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