Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Paradigma des preußisch-protestantischen Händlers orientierend, Marktwirtschaft mit
Moral verknüpft hat. Folgte daraus ein üppig ausgebauter Wohlfahrtsstaat, so hat Polen sich nach der Wende einen Kapitalismus
mit nur minimaler sozialer Sicherheit zugelegt. Dem Glücksspiel oder dem Krieg gleich, gibt es hierbei gleichermaßen Gewinner
und Verlierer.
Der Kontingenz überantwortet, dem Glück auf der Spur, entstehen an den Straßenecken polnischer Städte Internetcafés. Es sind
Familienbetriebe, morgens sitzt zumeist der Vater an der Kasse, abends die Mutter und in der Nacht die erwachsenen Kinder.
Und wenn das Geschäft Insolvenz anmeldet, dann verliert der Besitzer nicht sein Gesicht, sein Haupt senkt sich nicht in die
Pose protestantischer Selbstzermürbung, sondern er wird sich weiter durchschlagen.
Wer gewinnt, geht mit einem höheren Einsatz in die nächste Runde. Und wer verliert, ist ein polnischer Versager. Doch das
Versagen hat man sich niemals selbst zuzuschreiben. Eine lange Tradition der Niederlagen im Rücken, ist man sich des Zufalls,
der unerwarteten Fügung bewußt, die heimlich unser Dasein dominiert. Auch deshalb liebt man den deutschen Stefan Müller so |86| sehr, der sich in »M jak Miłość« von einem Mißgeschick ins nächste hinüberrettet.
Ressentiments gegenüber dem Staatswesen, die in kommunistischer Zeit religiös und politisch motiviert waren, haben sich auch
nach der Wende fortgesetzt. Ein Gespräch auf dem Marktplatz oder in der Kneipe genügt, um dies in Erfahrung zu bringen. Die
Regierung ist immer schlecht, heißt es, verkommen, korrupt, ihr ist nicht zu trauen. Und so weist der Sejm, das polnische
Parlament, alle vier Jahre ein jeweils neues, völlig unübersichtliches Parteienspektrum auf. 2005 wird die Partei der Zwillingsbrüder
Lech und Jarosław Kaczyń ski »Recht und Gerechtigkeit« stärkste politische Kraft, nachdem sich die Postkommunisten in Korruptionsaffären verstrickt hatten.
Seitdem die Brüder an der Macht sind, droht das katholische Paradox der polnischen Sünde, die in Unschuld erstrahlt, ins Wanken
zu geraten. Denn die Brüder propagieren mit moralischem Eifer eine neue »Wahrhaftigkeit« in der Politik, die mißtrauisch macht.
Sie sprechen gar von einer neuen, einer »Vierten Polnischen Republik«.
Lech ist Staatspräsident, Jarosław Vorsitzender der Partei, die auch die Regierungspolitik mitbestimmt. Die 57jährigen unterscheiden
sich durch zwei Merkmale. Jarosław Kaczyński hat eine störrischere Frisur als sein Bruder, und ihm fehlt das Muttermal an
der Nase. Beide sind 1,64 Meter groß, untersetzt und tragen die gleichen |87| maßgeschneiderten Anzüge. Und die Polen sagen, eine häßliche Anspielung auf ihre Physiognomie wie auf ihren Namen, sie würden
nun von
kaczory
, von Enten, regiert.
Im Wahlkampf plädierten sie für die Wiedereinführung der Todesstrafe und eine rigorose Korruptionsbekämpfung. Sie wetterten
gegen die forcierte Privatisierung von Staatsbetrieben, polemisierten gegen die EU-Verfassung und verteufelten vorehelichen
Geschlechtsverkehr.
Allabendlich im Hotel Europejski sehe ich einen Werbespot der Partei, die kurz darauf die Wahl gewinnen sollte: Man habe die
Kommunisten gestürzt, sagt Lech Kaczyński darin, doch das Land sei immer noch von ihnen korrumpiert, und während er das sagt,
werden randalierende Jugendliche, dann polnische Mütterchen gezeigt, die in ihr leeres Portemonnaie blicken. Das Geld reiche
nicht mal für Lebensmittel, sagt Kaczyński aus dem Off. Die Kriminalität aber wachse.
Den Polen ist das Zwillingspaar seit 1962 wohlvertraut. In einem populären Kinderfilm spielten Lech und Jarosław zwei faule,
boshafte Zwillinge, die den Mond stahlen. Unmittelbar nach der Wende, 1990, waren sie dann erneut auf den Fernsehbildschirmen
zu sehen. Präsident Lech Wałęsa hatte seinen alten Mitstreitern aus oppositionellen Solidarność-Zeiten den Rang von Vize-Präsidenten
verliehen. Lech wurde Chef der Präsidialkanzlei, sein Bruder leitete das Sicherheitsbüro. Der |88| Einfluß der Kaczyńskis auf den Präsidenten soll immens gewesen sein. Ja, es wurde sogar kolportiert, in Anspielung auf ihre
alte Filmrolle, sie hätten das Präsidentenamt gestohlen.
Selbst in Deutschland war bereits kurz vor der Wahl ein polnischer Stimmungswandel bemerkbar geworden. Polen tauchte in den
Nachrichten wieder auf, als es in den Irak-Krieg zog, während ihn Deutschland
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