Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
hat. Ihm hat sie sich angeschlossen. »Sasinia« heißt das Ganze. So nannten sich auch die ersten nachweisbaren preußischen
Siedler der Stadt im frühen Mittelalter.
Stolz zeigt Wojciech Gudaczewski mir am nächsten Tag sein kleines Büro. Es ist die Zentrale der Erinnerung in Ostróda. Der
Verein Sasinia erinnert an einen Ort, den es nicht mehr gibt: an das ostpreußische Osterode, |134| an die jüdische Bevölkerung, an die polnische Minderheit – und, sagt Gudaczewski, »an die Deutschen«. Er zeigt Fotos. Auf
einem ist Krystyna Brüske zu sehen, wie sie den deutschen Friedhof fegt, auf einem anderen Kinder, die das Laub wegtragen.
Dann Bilder einer Abendveranstaltung: Polnische Grundschüler tragen Gedichte über das frühere Osterode vor. »Gerade in diesen
Regionen«, sagt Gudaczewski, »können wir nicht so tun, als habe die Geschichte erst 1945 angefangen. Aber viele Polen denken
noch so.« Schließlich habe der Ort über 40 Jahre lang eine sozialistische Geschichtsverfälschung ertragen müssen: »Die Russen
als die Befreier der Stadt«, sagt Gudaczewski zynisch. Osterode wurde kampflos an die Rote Armee übergeben. Erst danach begann
das Wüten, die Stadt brannte lichterloh, man brandschatzte, vergewaltigte, und Soldaten feierten auf den Trümmern ihrer eigenen
Gewalt den Sieg.
Die Narben der Vergangenheit werden erst seit den letzten Jahren geheilt. Ein Geschäftsmann hat in das zerstörte historische
Zentrum viel Geld investiert. Die dreistöckigen Neubauten erstrahlen in barocken Formen, jedes Haus trägt eine andere, satte
Farbe. Es sind Zitate der Vorkriegszeit. Nur die Stuckfassade, die Ornamentik, haben die Architekten ausgespart. So, als wollten
sie die Vergangenheit wiederauferstehen lassen – und als seien sie dabei auf halber Strecke stehengeblieben.
|135| Zügigen Schrittes geht Wojciech Gudaczewski durch den Ortskern. Sasinia hat Erinnerungsschilder angebracht. An der Promenade
des größten Sees des Ortes gedenken sie Adolf Tetzlaffs. »Ein großer Reeder«, erklärt Gudaczewski. Er hat einst den Segelverein
der Stadt gegründet. Fast jedesmal, wenn sie eine Gedenktafel auf einen Platz stellen oder an einem Haus anbringen, kommt
die Blaskapelle oder der Bürgermeister. »Nicht alle sind einverstanden mit dem, was wir machen«, erzählt der junge Mann, der
hauptberuflich beim Militär arbeitet. Einmal wurde ihm vorgeworfen, er sei ein »Volksdeutscher«, schließlich arbeite er eng
mit den Vertriebenenverbänden und der deutschen Minderheit in der Stadt zusammen.
Fünf Minuten von der Strandpromenade entfernt steht das »Deutsche Haus«. In Frakturschrift sind die Worte in die Fassade gemeißelt.
Drinnen: Eiche rustikal. Das Wort »gemütlich« fällt einem ein, man möchte Plätzchen backen. Hier also trifft sich die deutsche
Minderheit. Eine Minderheit freilich, die den Krieg nicht mehr erlebt hat, erklärt Henryk Hoch, der die Deutschstämmigen in
Ostróda und Umgebung vertritt. Doch die hier geborenen Deutschen sterben langsam aus. Die, die es noch gibt, stricken und
nähen. Eine Frauengruppe trifft sich wöchentlich. Henryk Hoch zeigt die Nähstube. Ein Kamin säumt den Flur. Er öffnet eine
weitere Tür: ein kleiner Klassenraum. Die Kindeskinder der |136| alten Ostpreußen lernen Deutsch. Und dann sind da noch eine Menge Pokale. »Die Tannen«, so nennt Hoch seinen Verein, spielen
Tischtennis, und auch die Fußballmannschaft hat beachtliche Erfolge erzielt. Sie spielt in der Amateurliga. »Wir haben es
gut hier mit den Polen«, sagt Hoch mit Nachdruck.
Was er denn aber mache, möchte man wissen, angesichts der Tatsache, daß die Minderheit immer kleiner werde? Ob es Sinn ergebe,
die deutsche Vergangenheit zu konservieren? Hoch lacht. Die deutsche Minderheit, die werde es hier immer geben, sagt er. »Und
wenn nicht, dann kommen die deutschen Touristen. Die kommen immer.«
Und doch, im Laufe des Gesprächs wird der untersetzte Mann mit dem bauschigen Schnurrbart zornig. Er knüpft jetzt sein enges
Jackett zu. Es spannt. »Der eiserne Vorhang ist weg, und nun kommt so was. Ein Scheiß ist das.« Der »Scheiß«, er spielt auf
der großen politischen Bühne, und er belastet das deutschpolnische Verhältnis zur Zeit sehr. »Die machen uns alles kaputt«,
sagt Hoch. Er meint die Preußische Treuhand, jene Organisation mit Sitz in Düsseldorf, die ehemals deutsches Eigentum von
den Polen wiederhaben will. »Die wollen die
Weitere Kostenlose Bücher