Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Hostie in die Höhe. Von ferne sieht Maliński ein wenig aus wie Samuel Beckett:
Sein Gesicht ist tief zerfurcht, er trägt einen kurzen Igelschnitt. Es ist bitterkalt. Und es kommt einer Erlösung gleich,
als die Gemeinde – Geschäftsmänner und alte Mütterchen, Arbeiter und kleine Kinder – ein letztes, etwas schleppendes Lied
anstimmt und schließlich in die Gassen der Altstadt verschwindet. In der Sakristei empfängt Maliński Besucher. »Über den Papst
wollen Sie etwas erfahren?« fragt er nach langem Zögern, blickt mich unschlüssig an. »Und Sie kommen aus Berlin?« Er überlegt.
»Gut, ich möchte mal wieder Deutsch sprechen.«
Maliński war ein alter Freund Karol Wojtyłas. 40 Jahre lang hat Wojtyła in Krakau gelebt: als Zwangsarbeiter unter den Nazis,
als Laienschauspieler im Untergrund, als einfacher Priester und schließlich als |144| Erzbischof, bis er 1978 nach Rom beordert wurde. Seither hat er die katholische Kirche geprägt. Man muß Krakau besuchen, um
ihn zu verstehen.
Wir gehen in ein winziges Zimmer: ein Tisch, zwei Stühle. Hier scheint es noch kälter als in der Sakristei zu sein. Eine Nonne
hilft Maliński aus dem Meßgewand. Er ist 81 Jahre alt, stets war er drei Jahre jünger als der Papst.
»Also«, sagt er streng, »was wollen Sie?« Maliński kannte den Papst seit der Okkupationszeit unter den Nationalsozialisten.
Er verkehrte mit Wojtyła im polnischen Untergrund, in einem geheimen Priesterseminar. Wie hat Wojtyła diese Zeit geprägt?
»Dieses Kapitel«, sagt Maliński unwirsch, »kann ich Ihnen nur auf polnisch erzählen.« Er starrt auf den Holztisch, vermeidet
Augenkontakt. »Ich habe Karol Wojtyła als jungen Mann in einer spirituellen, geheimen Laienorganisation kennengelernt. Sie
hieß Lebendiger Rosenkranz, wir trafen uns abends. Das war alles konspirativ, die Nazis dachten, daß wir zum bewaffneten Widerstand
gehörten, was nicht der Fall war. Wir wollten uns spirituell und intellektuell bilden, für den Frieden, für die Zeit nach
der Besatzung. Tagsüber mußte Karol Wojtyła für die Deutschen in kriegswichtigen Betrieben arbeiten, in der Chemiefabrik Solvay
und in einem Steinbruch.«
Der Winter 1940 in Krakau war so kalt, daß sich der 20jährige Arbeiter das Gesicht mit Vaseline einrieb, um |145| sich vor dem Frost zu schützen. Morgens, gegen sechs, es war noch dunkel, zog er seinen blauen Arbeitsanzug an, schnallte
sich den Rucksack um und verließ das Haus am Weichselufer. Er lief über die vereiste Dȩbniki- Brücke ; schnell, damit der Kreislauf in Schwung kam und den müden Körper wärmte. Es folgte ein halbstündiger Marsch durch noch menschenleere
Gassen, bis an die Grenze Krakaus, dort lag sein Ziel: der Steinbruch von Zakrzówek.
Wie die anderen polnischen Zwangsarbeiter auch nahm er einen Vorschlaghammer in die Hand, schlug ins Gestein; immer wieder,
bis sich einzelne Brocken lösten, die er in eine Schubkarre warf. Die gefüllte Schubkarre schob er zu einem Eisenbahnwagen,
leerte sie aus und begann von vorn.
Maliński blickt auf, er hat die Zeit vergessen: »Manch mal besuchte er mich abends zu Hause«, fährt er fort. »Er half mir bei Lateinübungen. Als Gegenleistung schmierte ich Schmalzbrote.
Die mochte er sehr gerne. Auch Rührei. Karol war auch im geheimen ›rhapsodischen Theater‹, dort rezitierte er nachts Mickiewicz,
Polens Nationaldichter. Das war riskant. Es war ein patriotisches, religiös angehauchtes Widerstandstheater. Hätte die Gestapo
davon Wind bekommen, er wäre nach Auschwitz gekommen, wie so viele Geistliche aus Krakau.«
Auf die Frage, wie die Angst zu ertragen gewesen sei in Zeiten, in denen man jeden Tag verhaftet werden konnte, schweigt Maliński
lange. Dann sagt er: »Einmal |146| wurde es brenzlig. Sehr brenzlig. Es war am 1. August 1944. In Warschau kam es zum Aufstand der Heimatarmee. Die Gestapo hatte
Angst, daß sich das auch in Krakau wiederholen könnte. Ein paar Tage später durchkämmte sie jeden Winkel der Stadt, führte
Razzien durch. Sie wollten alle konspirativen Organisationen vernichten, uns vernichten. Wojtyła versteckte sich zusammengekauert
in einer Kellerwohnung. Sie haben ihn nicht gefunden.« Maliński starrt immer noch auf den Holztisch.
»So. Das war’s. Eine Frage haben Sie noch«, sagt er streng, wieder auf deutsch.
Droht der katholischen Kirche Polens, deren Identität sich ja aus so vielen Widerstandskämpfen speist, die
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