Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Häuser, aber es ist doch vorbei«, sagt Hoch, »vorbei und Schluß. Wir in Ostróda
haben damit nichts zu tun, wollen wir auch nicht.« Zu allem Überfluß hat das polnische Parlament auch noch Reparationszahlungen
für den deutschen Überfall |137| auf Polen gefordert, sagt er. Schlechte Stimmung sei in der Stadt, dauernd werde er über diesen »Mist mit den Häusern« befragt.
Und dabei habe man doch so viel aufgebaut, zusammen mit der Stadtverwaltung, mit der deutschen Partnerstadt und mit den »Hiesigen«,
wie Henryk Hoch die Polen nennt: »Freundschaft und so was.«
Die jüngsten deutsch-polnischen Zerwürfnisse, sie scheinen so nah zu sein in dieser Stadt, und manchmal, ganz kurz, auch sehr
fern. Sie wisse, erzählt Krystyna Brüske, daß es eigentlich eine fiktive Debatte sei. Man müsse das nicht besonders ernst
nehmen. Unwahrscheinlich sei es wohl, daß die Klagen der Preußischen Treuhand vor den polnischen Gerichten oder dem Europäischen
Gerichtshof Bestand haben würden. Aber es gehe nicht um die Wahrscheinlichkeit, sagt sie ein wenig belehrend. »Daß sie uns
die Nerven und die Gesundheit mit diesen Prozessen rauben«, das sei der eigentliche Skandal.
Viele ihrer Nachbarn hätten Angst. »Mein Herr«, sagt Krystyna Brüske, »das ist doch verständlich. Die sind so oft umgezogen.
Die wollen nicht mehr.«
Warum sie sich eigentlich für die Vergangenheit so sehr interessiere, möchte ich am Ende unseres Gesprächs wissen. Warum sie
sich engagiere? Und ausgerechnet für die Deutschen? »Sie lassen mir«, sagt sie knapp und lacht, »einfach keine Ruhe.«
|138| Die Katze wehrt sich. Frau Brüske nimmt sie dennoch von ihrem Schoß. Unwillig trottet sie davon. Und die alte Dame begleitet
mich hinaus. Dann fällt die Tür sehr fest ins Schloß.
Ich gehe zur Strandpromenade, bin mit Tadek verabredet. Ich erkenne ihn kaum wieder. Den Schnauzer hat er sich abgenommen,
seine Augen sind winzig klein, man sucht sie in einem Gesicht, das breit, fleischig, aufgedunsen geworden ist mit den Jahren.
Wir umarmen uns stumm, gehen am See entlang, meiner Unterkunft entgegen. Erst als er spricht, mit seiner tiefen Stimme, der
Stimme eines Geschichtenerzählers, der einen in den Schlaf wiegt, wird er mir langsam wieder vertraut, weicht die Fremdheit,
die Verlegenheit, die uns für Sekunden umgab.
Tadek erzählt, nach einigen beiläufigen Bemerkungen über den Nieselregen, er habe eine Entziehungskur gemacht, vor Jahren
schon. In einer Klinik hier in Ostróda, einen Platz darin habe ihm Tante Ania organisiert, was gar nicht leicht gewesen sei,
aber man habe, lacht er, einen Weg gefunden, ihn unterzubringen. Tadek sagt, nun ja, irgendwie habe man es hingekriegt – »załatwiać«.
Seit er aus der Klinik entlassen wurde, trinke er nur eine Büchse Bier am Tag, genau eine Büchse. Und daß er eine Frau kennengelernt
habe, sagt er, und daß er sie im stolzen Alter von 51 Jahren, vor einem Jahr, ehelichte. |139| Die Feier sei in ganz kleinem Kreise begangen worden. Zum einen des absurd hohen Alters des Ehepaares wegen, ein Umstand,
der ein üppiges Gelage unangemessen hätte erscheinen lassen, zum anderen, um ihm, der nüchtern bleiben wollte auf seiner eigenen
Feier, den Anblick betrunkener Gäste zu ersparen.
Seine Frau sei eine Bardame, die er in einem etwas zwielichtigen Nachtclub kennengelernt habe. Er sei, dort stets nur Cola
trinkend, so lange hingegangen, bis sie ihm, sagt Tadek etwas pathetisch, »das Herz« geschenkt habe. Sie habe ihn anfangs
nicht gewollt, der Männer überdrüssig geworden, wollte sie nur noch Getränke ausschenken und habe alle Avancen ausgeschlagen.
Geschieden sei sie, und Tadek lacht kurz auf, da ihr Ehemann sie, betrunken, wie er oftmals war, schlug. Immer wieder nach
Schichtende, ein Bauarbeiter. Da habe es sie, die Bardame, schließlich doch beeindruckt, daß er bei ihr nur Cola bestellte.
Und keinen Wodka und kein Bier.
Wir steigen die Treppen hinauf. Meine Unterkunft in Ostróda ist die neue Wohnung meiner Eltern. Sie kauften sie sich kürzlich
als Alterswohnsitz. Bald werden sie Koblenz verlassen, werden von Deutschland, das, allen Beschwörungen zum Trotz, niemals
ihre Heimat geworden ist, nach Polen ziehen. Wird die Wohnung ihre alte und gleichsam neue Heimat werden? Hier, an den Masuren,
dem Ort ihrer Kindheit? Wird die Vergangenheit sich einholen lassen? Läßt |140| sich ein gebrochenes Leben jemals wieder kitten?
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