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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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Ich blicke aus dem Küchenfenster, ein weiterer Block wurde auf dem benachbarten
     Grundstück erst vor kurzem hochgezogen, an einigen Fenstern hängen bereits Gardinen.
    Die Wohnung: eine Küche und zwei kleine, frisch tapezierte Zimmer. Das eine Zimmer ist so klein, daß kein Schrank, würde man
     einen hineinstellen, umkippen könnte. Ich erblicke ein Schlafsofa. Das zweite Zimmer ist noch völlig leer. In der Küche steht
     ein Tisch mit zwei Stühlen. Wir setzen uns. Tadek öffnet mit einer schnellen Handbewegung eine Büchse Bier. Und wir sprechen
     über Politik, die neue Regierung, die seiner Meinung nach endlich Ordnung in das chaotische Land bringen könnte. Da die Meinungsverschiedenheiten
     zwischen uns sich nicht überbrücken lassen, wechselt Tadek das Thema, erzählt, wie er nach seinem Klinikaufenthalt eine ganz
     entspannte, wundervolle Stelle auf einem Schiff angenommen habe. Er tuckerte Touristen über den See. Allerdings habe er nicht
     alle Tickets, die er im Schiff für die Rundfahrt verkaufte, regulär abgebucht. Das sei auch gar nicht möglich gewesen, des
     niedrigen Gehaltes wegen, das zum Leben nicht ausgereicht habe. Kurzum: Der kleine Betrug sei schließlich aufgeflogen. Und
     statt reumütig zu sein, sagt Tadek, während er einen tiefen Schluck Bier nimmt, habe er sich auf ein Handgemenge mit seinem
     Chef eingelassen, das allerdings schadlos ausgegangen sei. Lediglich einen |141| ausgerenkten Arm habe er seinem Vorgesetzten zugefügt, nicht der Rede wert. Na ja, die Emotionen seien eben mit ihm durchgegangen.
     Er habe da manchmal so eine Wut.
    Dann lacht er sehr laut, erzählt, daß er, nachdem er die Stelle auf dem Schiff verloren hatte, für einen Monat nach Rostock
     gefahren sei. Als Selbständiger habe er einen Monat lang Bürogebäude aufgebaut, mit anderen Polen, zwölf Stunden am Tag. Es
     lockte sie ein hohes Gehalt. Am Ende habe man sie nicht ausbezahlt, die Arbeiter, nachdem errichtet worden war, was aufzurichten
     war, hat man sie kurzerhand von der Baustelle geworfen. Mit Androhung von Gewalt. Der Sprache nicht mächtig, sei er mit seinen
     Freunden wieder nach Polen gefahren, statt sich der deutschen Polizei anzuvertrauen. In drei kleinen Autos, mit jeweils fünf
     verschwitzten und fluchenden Arbeitern. Jetzt suche er wieder neue Arbeit, sagt Tadek. Diesmal in Ostróda. Er grinst, er sagt,
     er werde das schon irgendwie hinkriegen.
    Dann hört man, wie sich eine zweite Büchse Bier zischend öffnet. Und wir verlassen die Gegenwart, und Tadek erzählt von seiner
     Zeit in Rußland, erzählt von Messerstechereien, und ich blicke ihn diesmal nicht erschrocken, sondern ungläubig an. Und er
     genießt es, daß ich ihm die Geschichten nicht glaube. Das gibt ihm den Anlaß, seine Erzählungen nun so detailliert auszuschmücken,
     daß selbst die entlegensten Feldstraßen in Kursk, wo er einst in einem Kernkraftwerk arbeitete, |142| ganz plastisch werden. Und über jeden Zweifel erhaben sind Geschichten, die einen verführen.
     
    Am nächsten Tag flog das ganze Land an mir vorbei. Vom hohen Norden bis ganz in den Süden fuhr ich wieder dorthin, wo die
     Reise begonnen hatte: nach Krakau. Und in dem kleinen Abteil, das mich immer weiter fortführte, bis das Land hügeliger wurde,
     stiegen Passagiere zu und wieder aus. Nur ich blieb sitzen, so lange, bis ich Krakau erreichen sollte. Eindrücke wechselten
     ab, als ich die Augen schloß, Frau Brüske trank zusammen mit Tadek Bier, Grażyna schob in Toruń ihren Kinderwagen, böse Taxifahrer
     umrundeten den Kulturpalast, und die polnischen Sheriffs sah ich auf einer Wahlparty. Dort tanzte auch das Paar Tango, das
     ich im Piękny Pies erblickt hatte, und Steffen Möller erzählte einen Witz. Und Alexej Suchzyn eilte durch Warschau. Auch der
     Papst, der polnische Papst meiner Kindheit, fiel mir ein. Seine Spuren, das war der Plan, würde ich in Krakau verfolgen.
    Im Halbschlaf, in einem Zug, der sehr holprig die Landschaft streifte, schien es mir, nur einen kurzen Moment lang, als seien
     meine polnische Vergangenheit und meine deutsche Gegenwart zu einem einzigen, einem harmonischen Bild verschmolzen. Als hätte
     ich die Vergangenheit eingeholt. Und als liege die Geschichte, die weit aufgespannte Zeit, in nur einer Hand.

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DER PAPST
    IN KRAKAU ZELEBRIERT MIECZYSŁAW MALIŃSKI das Mysterium der Wandlung. Der Priester steht in goldglitzerndem Meßgewand in der
     Kirche des heiligen Franz Sales und hält die

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