Polt.
Einer also, der ohne Bedenken oder sogar aus Lust Gewalt gegen Wehrlose ausübt. Da gibt es übrigens noch etwas, das ich nie vergessen werde. Du erinnerst dich bestimmt daran, wie damals der Gantenberger mit dem Gewehr in der Hand durchgedreht hat. Es hat Jahre gedauert, bis ich mich gefragt habe, warum du ihn so schnell und richtig eingeschätzt hast. Heute glaub ich es zu wissen: Nur weil du ihm ziemlich ähnlich warst, hast du ihn verdammt gut verstanden. Wörtlich bring ich’s nicht mehr zusammen, aber so ungefähr war’s: Wenn die Kraft weg ist, hupft einem die Krachen nur so in die Hand. Dann müssen die Schwächeren herhalten, um dich stark zu machen.’ Ja, und noch was, du weißt es noch nicht: Die Birgit hat Selbstmord begehen wollen, als sie von dir weggerannt ist. Das tut kaum jemand, nur weil der Ehemann Probleme hat und die Ehe unbefriedigend bleibt. Hat nicht viel gefehlt, und du hättest einen zweiten Menschen auf dem Gewissen - und zwar einen, den du angeblich liebst.«
»Schieb dir deine Moral in den Arsch, Simon.«
»Ich wird drüber nachdenken.«
Ein paar Tage später bekam Simon Polt, Patient im Bezirkskrankenhaus Breitenbrunn, Besuch. Karin Walter trat neben sein Bett und stellte zwecks rascherer Genesung ein Glas mit ihrem bewährten Quittengelee auf das Nachtkästchen. Polt war nicht allein im Zimmer, also küsste sie ihn keusch auf die Nasenspitze. »Kannst du aufstehen, Simon? Wir könnten in den Garten gehen. Es ist schön draußen, fast schon warm. Und es gibt viel zu erzählen.«
Polt schwang vorsichtig die Beine aus dem Bett und Karin Walter hüllte ihn in seinen Schlafrock. Die beiden fanden eine Bank, auf der sie ungestört waren. Karin wollte ihren Kopf auf Polts Schulter legen, ließ es dann aber lieber bleiben. »Der Bürgermeister war bei mir zu Haus, Simon!«
»Braucht er wieder so ein Affentheater fürs Fernsehen?«
»Nichts da! Der Kindergarten in Brunndorf sperrt nächstes Jahr leider zu. Aber der in Burgheim hat dadurch eine gesicherte Zukunft. Die Stelle der Leiterin wird freiund er hat sie mir angeboten. Trifft sich gut, sehr gut, besser geht es eigentlich nicht. In ein paar Jahren ist dort auch für unser Kind Platz, und schon jetzt kann ich mich intensiv um die Birgit kümmern. Sie hat’s erstaunlich gefasst aufgenommen, aber sie braucht meine Hilfe und wird noch lange Hilfe brauchen. Vorerst wohnt sie bei mir. Damit wirst du zu den zahlreichen Ehemännern mit Frau und Nebenfrau gehören.«
»Ich, wo ich schon bei einer alles falsch mach! Karin! Hast du Ehemann gesagt?«
»Muss mir so herausgerutscht sein.«
Polt setzte zu einer stürmischen Umarmung an, die aber schon im Ansatz schmerzlich scheiterte. Die künftige Kindergärtnerin übernahm es, ihn ganz vorsichtig zu umfangen und zu küssen. Dann knöpfte sie sein Spitalshemd auf und kraulte seine Brust. »So. Ende der Orgie. Ich muss weg. Und fühle dich um Himmels Willen nicht bedrängt, Lieber. Du weißt ja, wie wankelmütig wir Weiber sind.«
Sie stand auf und ging leichten Schrittes in den Frühlingstag hinein. Polt schaute zu, wie ihre Gestalt in der Ferne klein, hell und durchscheinend wurde.
Dann nahm er die nächste Wolke und schwebte zurück ins Krankenbett.
[erstellt mit plustek opticbook 4600 und atlantis word processor]
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