Polt.
Hast schon gelüftet, heute?«
»Ja, gleich in der Früh. Warum?«
»Es stinkt.«
»Riecht nach Wirtshaus.«
»Nenn es, wie du willst. Mir wird schlecht davon.«
»Da kenn ich dich aber anders. Magst vielleicht einen Kräuterschnaps?«
»Nein, danke. Was hat der Herr eigentlich heute schon in sich hineingeschüttet?«
»Drei Bier, nicht einmal ein Achtel Wein.«
»Das geht ja noch. Aber könntest du bitte, bitte versuchen, einmal einen Satz zu sagen, in dem kein Alkohol vorkommt?«
»Lieb hab ich dich.«
»Danke, das hat gut getan. Du, ich glaub, ich bin eifersüchtig auf dein Wirtshaus.«
»Ist doch nur am Wochenende, Karin. Und der Sepp und der Friedrich sind ja auch noch da.«
»Aber wenn du einmal dran bist, ist es wichtiger für dich als alles andere.«
»Blödsinn! Entschuldige bitte.«
Sie lachte. »Wirst schon recht haben, Simon. Machst mir einen Tee?«
»Mit Rum?«
»Ohne.«
Als die Tassen auf dem Tisch standen, nahm Karin Walter einen kleinen Schluck und verzog das Gesicht. »Tut mir leid, du. Das war’s auch nicht.«
»Hat der Tee was?«
»Nein, ich hab was.« Sie lächelte Polt unsicher zu. »Schwanger, Simon, im zweiten Monat! Ich war selbst ganz überrascht, aber der Frauenarzt…«
»Karin!« Polt hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. »Ein Kind! Von mir!«
»Der Briefträger war es jedenfalls nicht.«
Polt stand auf, versperrte die Wirtshaustür und zog die Vorhänge zu.
»Was jetzt, Simon?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur eines: Zuschauen lass ich mir dabei nicht.«
Der Montagsvater
Was für ein schöner Morgen! Der graue Himmel hing so tief über dem Wiesbachtal, als wäre er mit ausgestreckten Händen zu berühren. Der Regen tat ein Übriges und legte einen dichten Schleier über das Hügelland. Wind war aufgekommen und wehte Polt die Tropfen ins Gesicht. Frisch fühlte sich das an und aufmunternd. Aber ein Rest Müdigkeit sollte schon bleiben, als Erinnerung an einen langen Abend, tief in die Nacht hinein. Seltsam, wenn zwei, die seit Jahren miteinander vertraut sind, unvermutet am Anfang stehen.
Ein paar Monate noch … Polt war verwirrt und ratlos, aber eindeutig glücklich.
Um fünf Uhr früh hatte der Wecker geläutet. Das musste so sein, denn Frau Habesam legte hartnäckig Wert drauf, ihr kleines Kaufhaus schon im Morgengrauen zu öffnen. Das betraf auch Simon Polt, der seit einigen Wochen in ihren Diensten stand. Das war so gekommen:
An einem Mittwoch im Sommer des vergangenen Jahres hatte Frau Habesam soeben gemeinsam mit Sepp Räuschl eine ausführliche und detailreiche Betrachtung über den unaufhaltsamen Verfall der Sitten im Wiesbachtal vorläufigbeendet und einen halben Schwarzbrotwecken über den Ladentisch geschoben, als sie in jähem Schmerz das Gesicht verzog, sich an die Stirn griff und energisch nach Hilfe verlangte, bevor ihr die Zunge versagte. Die rasche Behandlung im nahen Bezirkskrankenhaus verhinderte die ärgsten Folgen des Schlaganfalls. Frau Habesams Sprechwerkzeuge, in Jahrzehnten unermüdlich geübt, funktionierten bald wieder, aber die Beine wollten nicht mehr so recht. Immerhin konnte sie mit Hilfe einer Krücke für kurze Zeit aufrecht stehen und ein paar Schritte tun, aber am Rollstuhl führte kein Weg vorbei. Die Kauffrau nahm das zur Kenntnis, übte sich unwirsch in neuen Fertigkeiten und war bald schneller unterwegs, als sie es zu Fuß je geschafft hätte. Aber einiges blieb ihr doch verwehrt. Daher wurde Simon Polt gegen geringes Salär zu ihrem kaufmännischen Gehilfen bestimmt. Es sprach ja auch nichts dagegen, wenn er sich nützlich machte, statt seine Zeit mit Müßiggang zu vergeuden. Außerdem hatte Frau Habesams Geschick, mit ihrem Kaufhaus, einem Brennpunkt dörflicher Kommunikation, stets den entscheidenden Informationsvorsprung zu wahren, angesichts vordergründiger Hinfälligkeit noch an hintergründiger Wirksamkeit gewonnen. Demnach wusste auch Polt neuerdings über so ziemlich alles Bescheid. Heute war ihm aber das köstliche Privileg vergönnt, eine Neuigkeit zu verkünden, die sogar für Frau Habesam neu war. Unwillkürlich trat er kräftiger in die Pedale.
Polt war mit seinem alten Steyr-Waffenrad unterwegs. Er hatte noch nie darüber nachgedacht, warum er diesem schweren und schwerfälligen Fahrzeug treu blieb. Jedenfalls gab es Gemeinsamkeiten: Die geraume Zeit, welche vonnöten war, um gemächlich zu beschleunigen, dann aber stetes und verlässliches Vorwärtskommen, das sich nur mit einigem Kraftaufwand
Weitere Kostenlose Bücher