Polt - die Klassiker in einem Band
des Gottesdienstes nahm ungestört ihren Fortgang.
Als die Kommunion nahte, wollte auch Bartl zum Altar gehen. „Nichts da, mein Lieber.“ Simon Polt hielt ihn am Unterarm fest.
Nach der Kommunion klang die Orgel freudig auf, der Kirchenchor sang, die Gemeinde stimmte ein.
Meerstern ich dich grüße!
„Hast du das Messer bei dir?“ flüsterte Polt.
Bartl duckte sich.
Oh Maria, hilf!
Jetzt schaute Bartl Simon Polt stumm ins Gesicht.
Gottesmutter süße! Oh Maria, hilf!
Bartl schwieg noch immer, aber er weinte lautlos.
Oh Maria, hilf uns allen aus unserer großen Not!
„Na?“
Bartl nickte.
„Komm jetzt, Bruno, wir gehen!“ Polt machte verlegen ein Kreuz, als sie die Kirche verließen.
Draußen wischte sich Bartl mit einem erstaunlich sauberen Taschentuch über die Augen. Nach ein paar Schritten zupfte er Polt am Ärmel. „Aber die Gendarmerie ist doch in der anderen Richtung, Herr Inspektor Polt!“
„Das ist eine sogenannte Privatverhaftung.“
Weil an diesem Sonntagvormittag viele Burgheimer in der Kirche waren und andere schon im Wirtshaus, erreichten die beiden fast ungesehen den Hof des Höllenbauern. In seiner Wohnung angelangt, schob Polt dem Bartl einen Sessel unters Hinterteil, stellte ihm Brot und Selchfleisch hin, goß ein Wasserglas mit Wein voll und ließ die Flasche daneben stehen. „So. Bei Gelegenheit hätte ich gerne dein Messer, Bruno.“
Bartl zog es aus der Innentasche seiner Jacke und legte es auf den Tisch. Es war wirklich ein großes, scharfes und spitzes Messer, die Schneide mit Zeitungspapier umwickelt.
Polt kramte in der Bestecklade, dann hob er sein Fundstück hoch. „Hab ich noch aus meiner Pfadfinderzeit, Löffel, Gabel, Messerchen, Korkenzieher, Bieröffner, Dosenöffner, alles in einem. Tauschen wir?“
Bartl nickte.
„Und jetzt sag einmal: Warum wolltest du auf den armen Pfarrer losgehen?“
Bartls Gesicht zuckte. „Nicht losgehen. Herr Inspektor Polt. Nur gezeigt hätt ich ihm das Messer, damit der sich fürchtet. Weil der hochwürdige Herr Pfarrer doch seinen Engel umgebracht hat.“
Polt atmete auf und erschrak gleichzeitig. „Wie kommst du darauf, Bruno?“
„Weil die Amalie an seinem Wein gestorben ist. Stimmt doch, Herr Inspektor Polt.“
„Dafür kann der Pfarrer nichts. Aber du lügst mich ja sowieso an. Schon als du damals beim Kurzbacher im Preßhaus warst, hast du dich vor deinen finsteren Absichten gefürchtet, stimmt’s?“
Bartl nickte.
„Wie war das gleich? Du hast mir doch gesagt, daß du den Heiligen Geist vertreiben mußt, weil er dich sonst aus dem Himmel vertreibt. Und von einem Engel war auch noch die Rede, nicht wahr? Der Engel heißt also Amalie. Und der Heilige Geist hört womöglich auf Virgil Winter?“
Bartl nickte. Dann lächelte er. „Die Amalie und ich, Herr Inspektor Polt, die Amalie und ich!“
„Wie lange schon, Bruno?“
„Schon immer.“
Sepp Räuschls Moral
„Der Bruno Bartl? Ein wunschlos verlorenes Kind.“ Virgil Winter stand am späten Sonntagnachmittag neben Simon Polt im Garten des Pfarrhofs. Den ganzen Samstag über hatte es geregnet und auch die folgende Nacht. Jetzt war der Himmel wieder blau, aber noch war zu sehen, wie das Naß den Pflanzen gutgetan hatte, die Farben leuchteten frisch.
„Seit ich hier im Wiesbachtal bin, kenne ich den Bartl nicht anders. Es muß in seiner Vergangenheit ein Ereignis gegeben haben, das ihn aus der Bahn geworfen hat. Ich meine fast, er verweigert sich dem wirklichen Leben, spielt einfach nicht mit. Aus Leichtsinn tut er das jedenfalls nicht. Hast du ihn jemals lachen gehört, Simon?“
„Nein. Und wie war das mit ihm und der Amalie Pröstler?“
„Was soll ich sagen. Sie war eine gute Seele, die es nicht übers Herz brachte, jemanden abzuweisen. Aber das ist Vergangenheit, wie so vieles. Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll. Heute waren viele Menschen in der Kirche. Aber die meisten sind nur aus Neugier gekommen. An anderen Sonntagen sind die Reihen recht schütter besetzt. Die Gemeinschaft der Menschen verliert sich, Simon. Wer die ganze Woche über auswärts arbeitet, ist hier auch am Sonntag nicht mehr wirklich zu Hause. Und den Pfarrer braucht man fast nur noch, wenn es ums Heiraten geht, ums Taufen oder ums Sterben.“
„Etwas muß ich Sie ja doch noch fragen, Hochwürden. Der vergiftete Wein – Sie haben doch bestimmt über die Sache nachgedacht. Noch immer keine Idee, wie die Amalie dazu gekommen ist und warum sie so viel davon getrunken
Weitere Kostenlose Bücher