Polt - die Klassiker in einem Band
dem Fürst Franzl? Der hat mir neulich erzählt, daß er noch alten Wein im Keller hat.“
„Wundert mich eigentlich, daß sich so was bei ihm hält. Den Cabernet Sauvignon hat er jedenfalls gern gekauft, früher, als er noch getrunken und nicht gesoffen hat.“
„Hast du die Amalie Pröstler näher gekannt?“
„Nein. Als die ins Wiesbachtal gekommen ist, war ich noch in der Hauptschule. Für uns Buben war sie wie eine außerirdische Erscheinung. Damals haben sich die Mädchen im Dorf noch älter gemacht als sie waren, mit weiten Kleidern und strengen Frisuren. Die Amalie Pröstler aber hat so ausgeschaut wie die Damen im Kino. Und geduftet hat sie! Meine Mutter hat jedenfalls immer gesagt, daß es eine Sünde ist, sich so herzurichten, noch dazu als Pfarrersköchin. ‚Der Herr Pfarrer wird schon wissen, was er an ihr hat‘, war meistens die Antwort vom Vater, und dann hat’s für eine Weile dicke Luft gegeben zu Hause.“
„Aber es ist still um sie geworden, nicht wahr?“
„Klar, die Zeit. Aber eine ansehnliche Person ist sie geblieben.“
„Und Verehrer gab’s wohl immer noch, den Firmian Halbwidl zum Beispiel.“
„Mein Gott, der! Ein gescheiter Kopf und ein netter Kerl, auch wenn er einem auf die Nerven gehen kann mit seiner Besserwisserei. Versteht sogar was vom Wein. Der hätte sich ein anderes Leben verdient. Als die Amalie jung war, soll er übrigens nicht der einzige gewesen sein, der ihr nachgestiegen ist. Ein paar Frauen im Dorf wünschen unsere schöne Pfarrersköchin wahrscheinlich heute noch zum Teufel, obwohl sie’s nicht zeigen. Die sind bestimmt nicht traurig darüber, daß es sie nicht mehr gibt.“
Polt legte einen sorgsam geschälten Erdapfel in die Schüssel und stand auf. „Wir sehn uns übrigens morgen in der Kirche!“
„Bist du fromm geworden?“
„Nein. Mißtrauisch.“
Am Sonntag verließ Simon Polt kurz vor zehn seine Dienststelle. Unterwegs zur Kirche wurde er von Aloisia Habesam angesprochen. „Wohin geht’s denn, Herr Gendarm? Ins Wirtshaus, wie üblich?“
„Nein. In die Kirche.“
Die stets umfassend informierte Gemischtwarenhändlerin, an sich durch keine noch so haarsträubende Neuigkeit zu erschüttern, war dermaßen überrascht, daß Polt die Gunst des Augenblicks zur Flucht nutzen konnte.
Die Kirche war ziemlich voll. Nur neben Bruno Bartl, bei dem niemand sitzen wollte, fand der Gendarm Platz. Ein paar Reihen weiter hinten erblickte er Franz Fürst. Der ehemalige Lehrer hatte es doch tatsächlich zu einer gewissen Eleganz gebracht. Er war rasiert, seine langen Haare waren gewaschen und gekämmt, er trug eine ordentliche Jacke, und das Hemd darunter war so gut wie weiß. Nur die blaue Blume im Knopfloch kam Polt wie eine bewußte Geschmacklosigkeit vor. Auch Bartl wirkte recht manierlich, hatte aber stark gerötete Augen, und auf seiner Stirn stand Schweiß. Er warf Simon Polt einen ängstlichen Blick zu und schaute dann zu Boden.
An der Sakristeitür wurde die kleine Glocke geläutet. Die Orgel erklang, drei Ministranten und der Pfarrer zogen ein. Als Virgil Winter den Bartl und Franz Fürst unter den Gläubigen sah, glaubte Simon Polt ein kurzes Erschrecken in seinem Gesicht zu erkennen. Oder war es Ärger?
Der Herr sei mit euch.
Und mit deinem Geiste.
Polt schaute auf Bartls Hände. Obwohl sie sich an der Kirchenbank festklammerten, zitterten sie.
Die Lesung, das Evangelium.
Bartl hörte wie verzückt zu, der Mund stand ihm offen, immer wieder schluckte er.
Die Predigt. Pfarrer Winter schaute unsicher umher, dann schloß er kurz die Augen. „In wenigen Tagen wird es hier in Burgheim ein Begräbnis geben. Wir alle wissen, was geschehen ist, wenn auch wohl niemand von uns eine Erklärung dafür findet. Amalie Pröstler hat nicht nur unendlich viel für mich und die Pfarrgemeinde getan, ich habe sie auch als einen Menschen erfahren, der die Kraft zur Läuterung hatte, ohne sich selbst oder anderen, die sie mochte oder liebte, untreu zu werden.“
Bartls Mund war jetzt geschlossen. Er starrte mit unbewegtem Gesicht den Pfarrer an. Verstohlen drehte sich Polt zu Franz Fürst um und erschrak. Nie im Leben hätte er ihm ein dermaßen dreckiges Grinsen zugetraut. Dann stand der Lehrer auf, verneigte sich leicht, klatschte zum Pfarrer hin Beifall und verließ die Kirche.
Alle schauten ihm nach, leise wurde geredet. Der Priester hob besänftigend die Arme. „Lassen wir es gut sein, wir wollen für die arme Verstorbene beten.“
Die Feier
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