Polt - die Klassiker in einem Band
wahrscheinlich der letzte, der es sich antut, dafür eine Baumpresse zu nehmen. Mit den modernen hydraulischen Maschinen geht alles viel einfacher. Aber für mich alten Sonderling ist das alles eben auch eine Zeremonie, wie vor dem Altar, nur heidnisch halt.“ Fürnkranz hatte sein Meßgerät weggelegt und griff nach einer kreisrunden Holzplatte. „Das ist die Dorschen, auch Gans sagen wir dazu. Kommt auf das Preßgut. Und diese Hölzer da kommen oben drauf, bis der Preßbalken aufliegt.“
„Mein Lieber!“ Polt betrachtete respektvoll den schweren Balken. „Wissen Sie, wie lang der Preßbalken ist, Herr Fürnkranz?“
„Ich hab einmal nachgemessen: gute 14 Meter. Und wissen Sie, Herr Polt, wie man so ein Ungetüm auch noch nennt? Hengst! Unsere Altvorderen waren keine Unschuldslämmer und näher am Leben und am Tod als wir. Der Balken da war für sie nicht mehr und nicht weniger als ein unverschämtes Sinnbild für Manneskraft. Und was ist dann beim Pressen los? Den unschuldigen Trauben wird Gewalt angetan, bis der Saft rinnt. Und wer ist mittendrin? Die Bauern! So nennt man nämlich die Hölzer zwischen dem Preßbalken und dem Deckel auf den Trauben.“
Polt hörte fasziniert zu. Sepp Räuschl, ein gottesfürchtiger Mensch, wollte von all dem nichts wissen, war ein paar Schritte beiseite gegangen und schaute sich wie beiläufig im Preßhaus um, während der Kurzbacher nachdenklich eine einzelne Weinbeere in die Hand genommen hatte, die zu Boden gefallen war. Langsam taute sie auf und wurde weich. Fürnkranz beobachtete ihn. „Siehst, Friedrich, genau das darf uns nicht passieren. Also probieren wir schnell einmal.“ Er griff zu einem schmalen Stück Holz, das etwa auf halber Höhe in einer Ausnehmung der Weinpresse steckte, und lockerte es ein wenig. Knarrend senkte sich ein Ende des Preßbalkens um wenige Zentimeter, ein leises Knirschen war zu hören, verstummte, als der Balken zur Ruhe kam. Es dauerte eine gute Weile, bis unterhalb des Preßkorbes ein kleines hellgrünes Rinnsal entstand. „Na also!“ Fürnkranz tupfte einen Tropfen auf das Meßfeld des Refraktometers und hielt es gegen das Licht. Mit einer raschen Bewegung wandte er sich seinen Helfern und dem Beamten zu. „Gewonnen! 31 Grad. Jetzt gehen wir’s richtig an.“ Er warf einen prüfenden Blick auf die Stellung des Preßbalkens.
„Ich hab nie so richtig begriffen, wie das alles funktioniert“, gab Polt zu.
Fürnkranz trat neben ihn. „Ist auch irgendwie kompliziert. Die ganze uralte Maschine ist ein riesiges Hebelwerk. Zwei Schwergewichte werden gegeneinander ausgespielt: Preßstein und Preßbalken.“ Er zog das vorhin gelockerte Holz völlig heraus. „Das ist ein Brustriegel. Damit kann ich die Hebelkraft steuern. Dorne gibt’s auch noch. Die verhindern, daß sich der Preßbalken wieder hebt. Beim Vorbereiten, gestern abend, hab ich den Preßstein gedreht, damit den Balken auf der linken Seite niedergezwungen und auf der anderen Seite, über dem Preßkorb, gehoben. Dann war nur noch dafür zu sorgen, daß er oben bleibt. Heute geb ich ihm Stück für Stück die Freiheit wieder. Und die Trauben bekommen den Hengst zu spüren.“
Friedrich Kurzbacher hatte mit sichtlichem Respekt zugehört. „Ein richtiger Professor, der Karl. Ich weiß ja auch, wie’s geht, aber erklären könnt ich’s nicht. Ist ja egal. Da kommt er, der Most!“
Erst zögernd, dann stärker, sickerte der Traubensaft durch die Zwischenräume des Preßkorbes und bildete auf dem hölzernen Boden einen sachte bewegten Teich, der in vielen Grüntönen schimmerte. Da und dort bedeckten feine Bläschen die Oberfläche, hingezogen zu jener Öffnung, durch die der Most in einen Bottich unterhalb der Presse floß.
Das Preßhaus, noch vor kurzer Zeit ein kalter, unbelebter Raum, war nun erfüllt von Geräuschen und Gerüchen. Fürnkranz holte tief Atem. „Darauf kommt’s an im Leben.“
Die anderen schwiegen beifällig. Dann beugte sich Fürnkranz vor, um den Most näher zu betrachten, und stieß plötzlich einen Laut aus, der wie verhaltenes Knurren klang. „Da …, schaut’s her!“ Er zeigte auf eine Stelle dicht neben dem Rand des Preßkorbes, wo sich eine fremde Farbe ins Grün mischte.
Der Kurzbacher drängte sich neben ihn. „Hast vielleicht einen Rotweinstock dazwischen?“
„Nein.“
Polt schob die beiden zur Seite, tauchte seinen Finger in die Flüssigkeit, roch daran und wandte sich ab.
Karl Fürnkranz trat dicht hinter ihn. „Das ist
Weitere Kostenlose Bücher