Polt - die Klassiker in einem Band
daß die Flasche weg ist. Aber an die Amalie hab ich nie im Leben gedacht. Der Pfarrer hat ja ziemlich streng darauf geachtet, daß sie nicht zu viel trinkt. Aber ich hätte auf jeden Fall das ganze Pfarrhaus nach der Flasche absuchen müssen. Mein Gott, Simon! Nur ich bring es fertig, den wichtigsten Menschen in meinem Leben qualvoll krepieren zu lassen und dann auch noch zu feig für ein Geständnis zu sein. Und statt mit mir ins Reine zu kommen, hab ich mir schon wieder eingeredet, daß jetzt erst recht der Pfarrer schuld an allem ist.“
Polt schwieg und zeichnete mit dem Finger das Muster auf dem Plastiktischtuch nach. Er nahm die Weinflasche, füllte sein Glas, auch das des Mesners. „Und dann bist du nur noch vor deinem eigenen Schicksal davongerannt, nicht wahr?“
„Ja. Ich wollte mit deinem Kopf denken, Simon. Natürlich hat es dir auffallen müssen, daß es zwischen diesen Vorkommnissen und meinem Leben Zusammenhänge gibt. Also hab ich dir einen Köder vorgeworfen, den Paratschek. Die Geschichte mit der Schule hat wunderschön gepaßt. Als sein Enkerl einmal eine Klasse wiederholen hat müssen, hat er sich aufgeführt wie ein Irrer.“
„Und die Idee mit dem Löwen und dem Damenhut war von dir?“
„Klar. Ich hab den Paratschek ordentlich unter Alkohol gesetzt und dann auf den richtigen Gedanken gebracht.“
„Und später ruinierst du dein eigenes Faß, damit er noch verdächtiger wird. Aber das Motiv fehlt, nachzuweisen ist ihm nichts, und das Rätsel wird letztlich unauflösbar.“
„Genau so war’s gedacht.“
„Du bist ein siebengescheiter Idiot, Firmian.“
Polt meinte zu spüren, daß es im Preßhaus kälter geworden war.
Der Mesner starrte auf den abgetretenen Ziegelboden. „Du kannst es so niederschreiben, wie wir geredet haben, Simon. Ich komme morgen wegen der Unterschrift und so weiter … Gute Arbeit, Herr Gendarm. – Entschuldige bitte, war eine blöde Bemerkung.“
Dann hob Firmian Halbwidl den Kopf. Etwas von seiner gewohnten Leichtigkeit schien aufzuflackern. Er schaute Polt mit einem halben Grinsen ins Gesicht. „Was ist, gehn wir noch einmal in den Keller?“
Der Gendarm schwieg und schaute zur offenen Preßhaustür. Draußen ging ein Sommertag zu Ende, das Licht wie Honig.
Dann stand Simon Polt schwerfällig auf. „Gehen wir“, sagte er. „Verdammt noch einmal. Gehen wir.“
Polterabend
Polterabend
Eiswein
Polt fror, hatte Kopfweh und war guter Dinge. Sein Alltag war weit weg. Gendarmerieinspektor? Schon gut, irgendwann vielleicht wieder. In dieser mondhellen Winternacht tat er im Weingarten des Karl Fürnkranz seine Arbeit. Er dachte an den vergangenen Abend und bereute es keineswegs, mit Karin Walter eine Flasche Sekt geleert zu haben, weil ihm irgendwie feierlich zumute gewesen war. Trotz dicker Handschuhe spürte Polt das kalte Metall der Rebschere. Ein leises Schnappen war zu hören, wenn er die Trauben vom Stock trennte, hart wie Kieselsteine fielen die gefrorenen Beeren in die hölzerne Butte, die auf einem dreibeinigen Gestell stand, damit man sie leichter auf den Rücken nehmen konnte.
„So eine Lese ist was Besonderes“, hatte der Fürnkranz gesagt, „da will ich kein Plastik sehen.“
Gegen vier Uhr früh waren sie ans Werk gegangen: Karl Fürnkranz, Simon Polt, Sepp Räuschl und Friedrich Kurzbacher. Die Männer bewegten sich langsam und konzentriert, ohne viel zu reden. War die Butte gefüllt, trug sie Polt als Jüngster in der Runde zu einem Traktoranhänger, auf dem zwei Holzbottiche standen. Nach knappen zwei Stunden war einer davon randvoll. Simon Polt stellte seine Last ab und schaute sich um: Ein verschneiter Weingarten, in dem nachts gearbeitet wurde – die Szene hatte etwas Verschwörerisches. Drei Weinbauern standen ein paar Schritte voneinander entfernt. Sie waren unterschiedlich groß, aber durch zahlreiche Schichten wärmender Kleidung annähernd gleich dick. Der Schnee zu ihren Füßen glitzerte, und der Mond über ihren Köpfen ließ das Licht der Sterne fast verschwinden.
Die Riede Sommerleiten bedeckte den Westhang eines kleinen, einschichtig gelegenen Tales dicht an der Grenze zu Tschechien. An ihrem oberen Ende stand eine Weingartenhütte, die dem Karl Fürnkranz gehörte. Tieferwärts, nach Süden zu, begleiteten die Rebenhügel das breite Wiesbachtal. Dort leuchteten die Straßenlampen der langgestreckten Dörfer, und an den Hängen waren die Lichterketten der Kellergassen zu sehen.
Polt gähnte. Er war lange
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