Polt - die Klassiker in einem Band
Fußballverein hat seine Generalversammlung.“
„So ist das also“, brummte Polt. „Und mich hat natürlich wieder einmal keiner eingeladen, obwohl ich Mitglied bin.“
„Dich übersieht man eben leicht“, stichelte der Kurzbacher.
„Er war schon als Säugling so unscheinbar“, ließ sich vom Nebentisch her der Gemeindearzt vernehmen. „Dick und ziemlich häßlich, sonst nichts.“
„Da sieht man wieder, wie bei älteren Männern das Gedächtnis nachläßt“, sagte Polt gutmütig.
Der Herr Doktor nickte nur und gönnte sich jenes hinterhältige Grinsen, mit dem er üblicherweise die Behauptung kränkelnder Weinbauern quittierte, mehr als drei, vier, allerhöchstens fünf Achteln kämen pro Tag bestimmt nicht zusammen. Dann schaute er zur Tür, die neben dem Kücheneingang in den Hof und zum Extrazimmer führte, weil soeben die Funktionäre des FC Brunndorf eintraten. Noch unter dem Eindruck jener bedeutsamen Entscheidungen, die sie soeben kraft ihrer Ämter gefällt hatten, drängten sie an die Schank, um bei ein paar Gläsern nunmehr formlos zu bereden, was vordem förmlich besprochen worden war.
Karl Brunner und Christian Wolfinger setzten sich zu Polt und Kurzbacher an den Tisch, während Josef Schachinger nach einem schnellen Seitenblick auf den Gendarmen neben dem Gemeindearzt Platz nahm. „Und?“ fragte dieser, „haben wir einen neuen Präsidenten?“
„Wozu denn?“ Schachinger spielte nervös mit einem Bierdeckel. „Unser alter wird von Jahr zu Jahr besser.“
„Jaja, der Berger Edmund! An dem scheint sich die oft fälschlich behauptete konservierende Wirkung des Rotweines ja doch zu bestätigen.“ Der Arzt nahm einen durchaus nicht zaghaften Schluck vom Blauburger. Jetzt lachte Schachinger sogar. „Das können Sie laut sagen! Haben Sie übrigens schon den Staubigen verkostet in diesem Jahr, Herr Doktor?“
„Nein. Es ist eine Schande. Aber ihr Burschen laßt einem ja keine Zeit zum Trinken, mit euren Krankheiten.“
„Dann sind Sie in meinen Keller eingeladen“, sagte Schachinger fast feierlich, „überhaupt, wo heute Martini ist.“
„Heute?“ überlegte der Arzt, „vielleicht jetzt gleich auch noch? Das ist leider ganz und gar unmöglich. Einfach ist es jedenfalls nicht. Also, Herr Schachinger, da muß ich erst einmal … ach was, Sie haben mich überredet.“
„Leicht war es aber nicht!“, klang Christian Wolfingers Stimme vom Nebentisch herüber.
Schachinger war aufgestanden. „Unser Luftlochschießer, wer sonst. Wer dumm redet, kommt mit!“ Dann machte er eine umfassende Gebärde. „Und wer dumm dreinschaut, auch.“
Simon Polt betrachtete konzentriert sein Weinglas und fuhr unmerklich zusammen, als er angesprochen wurde: „Ich weiß nicht, ob der Herr Inspektor mit unsereinem was trinkt, aber wenn er will, dann soll er auch, in Gottes Namen.“
Es dauert keine zehn Minuten, bis die Männer vor Josef Schachingers Preßhaus standen. Natürlich war jeder von ihnen mit dem eigenen Auto gefahren, nur der Gendarm hatte Friedrich Kurzbacher gebeten, ihn mitzunehmen. Die älteren Weinbauern erinnerten sich noch sehr gut an die Zeit, in der sich nur wirklich reiche Leute ein Auto leisten konnten. Jetzt hatte jeder eines und dachte nicht daran, auf dieses herrschaftliche Stück Freiheit jemals zu verzichten. Erst vor einigen Wochen war in der Lokalzeitung ein Leserbrief abgedruckt gewesen, in dem sich ein Feuerwehrhauptmann wütend darüber beschwerte, daß es ein junger und offensichtlich unerfahrener Gendarm gewagt hatte, ihn nach einem Fest auf dem Sportplatz spätnachts an der Heimfahrt mit dem eigenen Wagen zu hindern, und ihm sogar frech nahelegte, die paar hundert Meter für einen erfrischenden Spaziergang zu nützen. Immerhin fuhren die älteren Leute vorsichtig, wenn sie getrunken hatten, doch auch das half nicht immer: Neulich hatte es ein Weinbauer fertiggebracht, ausgerechnet mit dem Traktor und bei Tageslicht, bedächtig, aber unerbittlich drei Zapfsäulen der Burgheimer Tankstelle umzulegen.
Schachinger hatte schon die Preßhaustür geöffnet und im Dunkeln mit selbstverständlicher Sicherheit den Lichtschalter gefunden. Wortlos nahm er ein paar kleine Gläser von Holzstäben, die schräg nach oben aus einem Wandbrett ragten, spülte die Gläser unter fließendem Wasser aus, griff nach dem Tupfer, dem Weinheber, ging zur Kellertür und forderte die anderen mit einer gebieterischen Kopfbewegung auf, ihm zu folgen.
Simon Polt war zum ersten Mal hier
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