Polt - die Klassiker in einem Band
Mauerwerk zu sehen. Polt erkannte die aufgelassene Kellergasse, die ihm Karl Gapmayr neulich gezeigt hatte. Preßhäuser in den unterschiedlichsten Stadien des Verfalls säumten den Weg, dazwischen gab es Kellertüren unter schlichten Mauerbögen. Polt schaute sich um und war guter Dinge, umfangen von Sonnenwärme und Bienengesumm. Plötzlich hörte er ein Geräusch neben sich und dann eine Kinderstimme. „Haben Sie eine Bewilligung, Herr Inspektor Polt?“
Der Gendarm sah einen Buben, um die zehn Jahre alt. „Eine Bewilligung? Wofür?“
„Für den Aufenthalt im Niemandsland.“
„Niemandsland? Hier?“
„Ja. Niemand schert sich drum. Nur wir tun das.“
„Und wer ist wir ?“ Polt setzte sich ins Gras. Der Bub blieb stehen.
„Ich bin der Anführer. Und dann gibt es noch drei.“
„Ja, und diese Bewilligung … Könnte ich vielleicht eine bekommen? Mir gefällt es hier.“
„Da muß ich mit den anderen reden.“ Der Bub musterte Polt schweigend, dann wollte er gehen.
Polt stand auf. „He, Klaus. Ich wollte dich noch was fragen.“
Der Bub war stehengeblieben. „Woher wissen Sie, wie ich heiße?“
„Gendarmen wissen alles.“
„Glaub ich nicht!“
„Na ja, da hast du auch wieder recht.“
Langsam gingen die zwei den Hohlweg hinunter. Als sie in die Schatten unter den Akazien tauchten, fragte Polt so nebenbei: „Kann es sein, daß ich euch unlängst am frühen Nachmittag gesehen habe, in der Nähe des Runhofs?“
„Natürlich kann das sein. Der Runhof steht unter Beobachtung.“
„Und warum?“
„Darf ich nicht sagen. Es ist ein Geheimnis. Aber kein großes.“
„Große Geheimnisse gibt es also auch?“
„Nicht viele. Nur drei.“
„Klingt aufregend.“
Klaus gab keine Antwort. Simon Polt machte kleine Schritte, um auf dem feuchten Boden nicht auszurutschen. „Ihr kennt wohl jeden geheimen Schlupfwinkel hier in der Gegend, nicht wahr?“
„Allerdings.“
„Auch die Höhle im Lößabsturz oberhalb der Burgheimer Kellergasse?“
Polt hatte noch nicht ausgeredet, als Klaus mit einem Sprung im Akaziengestrüpp verschwand und dann durch einen Weingarten davonlief.
Der Gendarm ging zu seinem Fahrrad zurück und fuhr zum Hof des Höllenbauern. Zu Hause angekommen, leerte er resignierend Czernohorskys unbenutzten Futternapf aus und füllte ihn neu. Dann dachte er über Klaus nach. Die Viererbande kannte also die Lößhöhle, das war ja zu vermuten gewesen. Und daß der Klaus davongerannt war, konnte vieles bedeuten.
Der Abend war noch immer angenehm lau. Polt beschloß, seinen kleinen Griller anzuheizen, den er aus Ziegeln und Altmetall gebaut hatte. Es waren noch einige dieser winzigen Nürnberger Bratwürste im Kühlschrank und die mußten weg, ganz abgesehen davon, daß sie ihm schmeckten. Polt genierte sich ein wenig dafür, denn Frau Habesams Universalkaufhaus führte derlei ausländischen Schnickschnack natürlich nicht. Da mußte man sich schon in den neuen Supermarkt am Ortsrand von Burgheim bemühen. Aber Polt war eben ein neugieriger Mensch, und der Gedanke, nach dem Genuß von zwölf Würsten noch immer nicht satt zu sein, hatte ihn auch gereizt.
Es war windstill. Polt entflammte zwei Würfel Trockenspiritus, häufte eine kleine Holzkohlenpyramide darauf, schaute den Flammen zu und wartete. Still war es hier im hinteren Teil des langgestreckten Höllenbauerhofs. In den Gärten der protzigen neuen Siedlungshäuser war man nie allein, und es gab auch jede Menge Streit zwischen Nachbarn. Polt ging in die Küche und holte einen alten gläsernen Bierkrug hervor. Den hatte er vor Jahren dem Stelzer in Brunndorf abgebettelt. Seine Finger strichen über den dicken Glasrand, in vielen Jahrzehnten abgerundet von durstigen Mündern. Er öffnete eine Bierflasche, freute sich über den frischen Geruch von Malz und Hopfen, goß den Krug voll und gönnte sich noch im Stehen einen kräftigen Schluck. Dann saß er trinkend neben der glimmenden Holzkohle, bis sie von Asche bedeckt war. Er zog die Glut auseinander und legte den Grillrost darüber. Wenig später würzte ein höchst appetitanregender Geruch die Abendluft. Polt legte Senf und Brot bereit, und als er eben beginnen wollte zu essen, hörte er Stimmen. Die zwei Höllenbauertöchter, vier und sechs Jahre alt, kamen neugierig näher. „Wursti!“ sagte Anna, die jüngere, und wollte zugreifen.
„Vorsicht, du verbrennst dir die Finger! Wie viele magst du denn?“
„Viel“, sagte Anna. „Und ich fünf“, ergänzte
Weitere Kostenlose Bücher