Polt muss weinen
locker, wie?« Der Höllenbauer gab Polt einen leichten Stoß.
»Ach weißt du«, sagte dieser leise, »langsam wächst mir die Sache über den Kopf. Darf ich noch was zu trinken haben?«
Wortlos ging der Höllenbauer in einen Seitengang, wo er seine besonderen Schätze lagerte. Bedächtig kam er mit einer pilzumwucherten Flasche zurück. »Ein 62er Traminer, Spätlese.«
Schweigend tranken die Männer. Allmählich wurden die Gedanken wieder weich und rund, die Zeit trat über die Ufer, und ein feierliches, wunschloses Behagen lag über allem. Als die Flasche leer war, seufzte Sepp Räuschl vernehmlich, Simon Polt und Ernst Höllenbauer nickten einander zu, und die drei gingen langsam zur Kellerstiege.
42 Stufen, dachte Polt und nahm jede davon ganz bewußt. Dann war es ihm, als hätte ihn jemand aus sanfter Geborgenheit in eine schonungslose Welt gestoßen. Er taumelte ein wenig in der kühlen Nachtluft und sah im Halbdunkel die Preßhäuser mit ihren harten Konturen und klaren Flächen. Die talwärts führende Kellergasse machte ihm plötzlich angst. Geradlinig und konsequent durchschnitt sie die Schlingen und Knoten seiner Gedanken und ließ zwischen Anfang und Ende kein Wenn und Aber gelten.
Nach dem kurzen Heimweg sagte Simon Polt in der offenen Hoftür seinem Freund gute Nacht und ging, schon mit dem Schlüssel in der Hand, weiter nach hinten. Er wollte eben aufsperren, als er einen Zettel sah, der mit einem Reißnagel an die Tür geheftet war. Er nahm ihn ab und schaute dann im Licht auf ein kariertes Blatt Papier, das wohl aus einem Schulheft stammte. »Gib’s endlich auf, Polt«, las er, »du richtest Unheil an.«
Die Summe des Unbehagens
Polt saß vor dem geöffneten Fenster, auf seinen Knien lag der Kater Czernohorsky, den Kopf zwischen den Beinen. Nur zwei spitze Ohren ragten aus der amorphen Masse sachte atmenden Fells. »Es sind Blockbuchstaben, mein Lieber«, sagte Polt. »Aber der Schreiber hat sich wenig Mühe damit gegeben, mir etwas vorzumachen. So schreiben Bauern.« Czernohorsky begann leise zu schnurren. »Ich war schon drauf und dran aufzuhören, und jetzt zwingt mich dieser Unglücksmensch dazu, die Sache durchzustehen.« Der Kater fuhr die Krallen seiner Vorderpfoten aus und grub sie mit zärtlicher Grausamkeit in Polts Haut. »Weißt du, was das bedeutet, mein lieber Czernohorsky? Kriminalabteilung. Tatortgruppe. Spurensuche. Verhöre. Es wird mörderisch ungemütlich in den Kellern werden. Und ich bin daran schuld.«
Am nächsten Morgen ging Polt erst einmal zu seinem Dienststellenleiter. »Mein lieber Gruppeninspektor«, sagte dieser nach einem prüfenden Blick, »ist dir heute nacht der Himmel auf den Kopf gefallen?«
»So ungefähr.«
Der Gendarm erzählte, was er bisher zum Thema Hahn erfahren hatte, und berichtete schließlich vom Zettel an der Tür, der schon bei der erkennungsdienstlichen Untersuchung war. Polts Vorgesetzter sagte lange nichts. Dann zerknüllte er ein Exemplar der Lokalzeitung, mit deren Lektüre er sich den Morgen hatte versüßen wollen, warf sie gegen die Wand und griff zum Telephon.
Am Nachmittag des folgenden Tages, es war ein Dienstag, standen Landesgendarmerieinspektor Kratky, ein schmaler, unscheinbarer Mensch mit beginnender Glatze, zwei seiner Mitarbeiter und Simon Polt vor Hahns Preßhaus. Schon am frühen Morgen hatte es zu regnen angefangen, und jetzt war auch noch Wind dazugekommen.
Polt kramte nach dem Preßhausschlüssel, den er sich von Frau Hahn hatte geben lassen. »Lächerlich, so was!« Er hielt den kleinen, glänzenden Schlüssel für das moderne Vorhängeschloß hoch.
»Reden wir drinnen weiter«, sagte Kratky mißlaunig.
Polt öffnete die Tür und fuhr dann fort: »Ein echter Preßhausschlüssel hat nämlich ein anderes Kaliber, der ist sogar bei einer Wirtshausrauferei noch zu etwas gut. Wenn ein junger Mann vom Vater das erste Mal so einen Schlüssel anvertraut bekommt, gehört er von da an zu den Erwachsenen.«
»Hm.« Kratky war mäßig interessiert und schüttelte sich wie ein nasser Hund. »Sind Preßhaus und Keller inzwischen betreten worden?«
»Die Frau Hahn sagt nein, und das wird schon stimmen: Was hätte sie auch hier zu suchen?«
Kratky antwortete nicht, knöpfte den Regenmantel auf und seufzte. »An die Arbeit, Freunde. Sie, Herr Kollege, bleiben vorerst bitte oben, damit im Keller nicht noch mehr Spuren zerstört werden. Ich rufe Sie dann.«
Polt blieb stehen, weil er sich nicht auf den gelben
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