Pompeji
du?«
»Nein«, sagte sie und wand sich in seinem Griff. »Aber ich dachte, ich könnte es wenigstens versuchen.«
Ihre Gelassenheit verwirrte ihn. »Wirklich?« Er zog sie näher an sich heran. »Und wie wolltest du das anstellen?«
»Indem ich dem Aquarius die Dokumente zeige. Indem ich sie allen Leuten zeige. Damit alle sehen können, was du bist.«
»Und was ist das?« Ihr Gesicht war seinem sehr nahe.
»Ein Dieb. Ein Mörder. Niedriger als ein Sklave.«
Das letzte Wort spie sie heraus, und er zog die Hand zurück und hätte sie jetzt bestimmt geschlagen, aber Celsinus ergriff von hinten sein Handgelenk.
»Nein, Vater«, sagte er. »Damit ist jetzt Schluss.«
Einen Augenblick war Ampliatus zu verblüfft, um zu sprechen. »Du?«, sagte er. »Du auch?« Er schüttelte seine Hand frei und funkelte seinen Sohn an. »Solltest du dich nicht zu einem deiner heiligen Riten begeben? Und du?« Er fuhr zu seiner Frau herum. »Solltest du nicht zur heiligen Matrone Livia beten und Erleuchtung suchen?« Er spuckte aus. »Geht mir aus dem Weg, ihr beide.« Ampliatus zerrte Corelia auf die Treppe zu. Die anderen beiden rührten sich nicht von der Stelle. Er drehte sich um und stieß Corelia die Stufen hinauf, den Gang entlang und in ihr Zimmer. Sie fiel rückwärts auf ihr Bett. »Hinterhältiges, undankbares Kind!«
Ampliatus hielt Ausschau nach etwas, womit er sie bestrafen konnte, aber alles, was er sehen konnte, waren harmlose weibliche Besitztümer – ein Elfenbeinkamm, ein Seidenschal, ein Sonnenschirm, Perlenketten – und ein paar alte Spielsachen, die vor ihrer Hochzeit der Venus geopfert werden sollten. In einer Ecke saß eine Holzpuppe mit beweglichen Gliedmaßen, die er ihr vor Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte, und ihr Anblick versetzte ihm einen Schlag. Was war aus ihr geworden? Er hatte sie so sehr geliebt – sein kleines Mädchen! Wie hatte daraus Hass werden können? Plötzlich war er verwirrt. Hatte er nicht alles für sie und ihren Bruder getan – so viel erschaffen, sich selbst von unten hochgearbeitet? Er stand da, schwer atmend und besiegt, während sie ihn von ihrem Bett aus anfunkelte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. »Du bleibst hier«, erklärte er schließlich lahm, »bis ich entschieden habe, was ich mit dir tun werde.« Er ging und schloss die Tür hinter sich ab.
Seine Frau und sein Sohn hatten den Garten verlassen. Das war bezeichnend für diese schwächlichen Rebellen, dachte er. Sie verschwanden, sobald er ihnen den Rücken zukehrte. Corelia hatte immer mehr Mumm gehabt als die anderen zusammen. Sein kleines Mädchen! Im Wohngemach lehnten sich die Magistrate über den Tisch und unterhielten sich leise. Als Ampliatus sich näherte, verstummten sie und beobachteten, wie er zu der Anrichte ging und sich Wein einschenkte. Der Rand des Kruges klirrte gegen das Glas. Zitterten seine Hände? Er betrachtete sie von beiden Seiten. Er konnte nichts feststellen: Sie sahen ruhig genug aus. Sobald er das Glas geleert hatte, fühlte er sich besser. Er füllte es noch einmal, zwang sich zu einem Lächeln und wandte sich den Magistraten zu.
»Und?«
Es war Holconius, der als Erster sprach. »Wo hast du die her?«
»Corax, der Aufseher der Augusta, hat sie mir gestern Nachmittag gebracht. Er hat sie in Exomnius' Zimmer gefunden.«
»Du meinst, er hat sie gestohlen?«
»Gefunden, gestohlen …« Ampliatus machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Das hätte uns sofort zur Kenntnis gebracht werden müssen!«
»Und weshalb, ihr Herren?«
»Liegt das nicht auf der Hand?«, warf Popidius aufgeregt ein. »Exomnius hat geglaubt, es würde ein weiteres Erdbeben geben!«
»Beruhige dich, Popidius. Du denkst seit siebzehn Jahren ständig an Erdbeben. Ich würde dieses Zeug nicht allzu ernst nehmen.«
»Exomnius hat es ernst genommen.«
»Exomnius!« Ampliatus bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Exomnius ist immer ein Nervenbündel gewesen.«
»Das mag sein. Aber warum hat er diese Dokumente kopieren lassen? Vor allem das hier. Was hat er deiner Meinung nach damit gewollt?« Er schwenkte eine der Papyrusrollen.
Ampliatus warf einen flüchtigen Blick darauf und trank einen weiteren Schluck Wein. »Das ist Griechisch. Ich kann kein Griechisch. Du vergisst, Popidius: Ich hatte nicht den Vorzug deiner Bildung.«
»Also, ich kann Griechisch, und das hier kommt mir bekannt vor. Ich bin ziemlich sicher, dass dieser Text von dem Geographen Strabon stammt, der diese Gegend zur Zeit des
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