Pompeji
Schlange, ein großer Vogel und etliche kleinere Tiere – lagen in dieser Todesgrube. Sogar die Vegetation war bleich und vergiftet.
Der Tote lag mit ausgestreckten Armen auf der Seite, direkt außerhalb seiner Reichweite erkannte Attilius eine Kürbisflasche und ein Strohhut; es sah aus, als wäre der Mann gestorben, während er sie zu greifen versuchte. Er musste seit mindestens zwei Wochen hier liegen, in der Hitze verwesend. Erstaunlich war nur, wie viel von ihm noch übrig war. Er war weder von Maden befallen noch von Vögeln und anderen Tieren angefressen worden. Kein Schwarm von Schmeißfliegen summte um dieses halb gargekochte Fleisch herum. Vielmehr sah es so aus, als hätte es jedes Tier vergiftet, das versucht hatte, an ihm zu fressen.
Attilius schluckte schwer, um zu verhindern, dass er sich übergab. Er wusste sofort, dass das Exomnius sein musste. Sein Vorgänger war vor ungefähr zwei Wochen verschwunden, und wer sonst wäre im August hier heraufgestiegen? Aber wie konnte er sicher sein? Er hatte den Mann nie gesehen. Dennoch hielt ihn etwas davon ab, sich in diese Todesgrube hineinzuwagen. Er zwang sich, an ihrem Rand niederzuknien und das geschwärzte Gesicht zu betrachten. Er sah eine Reihe grinsender Zähne, die den Kernen einer geborstenen Frucht glichen; ein trübes, halb geschlossenes Auge, das an dem ausgestreckten Arm entlangzublicken schien. Eine Wunde konnte er nirgends entdecken. Aber schließlich war der ganze Leichnam eine Wunde, verfärbt und schwärend. Was konnte ihn getötet haben? Vielleicht war er der Hitze erlegen. Vielleicht hatte sein Herz versagt. Attilius lehnte sich noch etwas weiter vor und versuchte, ihn mit seinem Stock anzutippen, und sofort spürte er, wie er die Besinnung zu verlieren begann. Grelle Lichter tanzten vor seinen Augen, und fast wäre er vornüber gestürzt. Mit beiden Händen griff er in den Staub und schaffte es gerade noch rechtzeitig, sich zurückzuziehen. Er rang nach Atem.
»… der Ausdünstung der vergifteten Luft in der Nähe des Bodens …«
Sein Kopf hämmerte. Er würgte, erbrach eine bittere, nach Galle schmeckende Flüssigkeit und hustete und spie immer noch Schleim aus, als er hörte, wie vor ihm trockene Vegetation unter einem Schritt knackte. Er schaute benommen auf. Von der anderen Seite der Grube, nicht mehr als fünfzig Schritte entfernt, kam ein Mann auf ihn zu. Zuerst dachte er, es müsste eine von der vergifteten Luft heraufbeschworene Vision sein, und er mühte sich auf die Füße, wie ein Betrunkener schwankend, blinzelte den Schweiß aus seinen Augen und versuchte, klar sehen zu können, aber die Gestalt kam trotzdem näher, gerahmt von den zischenden Schwefelfontänen. In der Hand des Mannes glitzerte ein Messer.
Es war Corax.
Attilius war nicht in der Verfassung für einen Kampf. Er wäre davongerannt, aber er konnte kaum die Füße anheben.
Der Aufseher näherte sich der Grube vorsichtig. Geduckt, mit ausgebreiteten Armen, verlagerte er mit jedem Schritt sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und ließ dabei den Wasserbaumeister keine Sekunde aus den Augen, als befürchtete er eine List. Rasch warf er einen Blick auf den Toten, musterte Attilius finster, dann schaute er wieder in die Grube. Er sagte leise: »Und was hat das alles zu bedeuten, hübscher Knabe?« Corax hörte sich fast beleidigt an.
Er hatte seine Attacke sorgfältig geplant und einen langen Weg zurückgelegt, um sie auszuführen. Im Dunkeln hatte er auf das erste Tageslicht gewartet und war seinem Opfer in einiger Entfernung gefolgt – er muss der Reiter gewesen sein, den ich hinter mir gesehen habe, dachte Attilius –, und die ganze Zeit hatte er die Aussicht auf Rache genossen. Doch jetzt wurden seine Pläne im letzten Moment vereitelt. Das war nicht fair, besagte seine Miene – ein weiteres in der langen Reihe von Hindernissen, die das Leben Gavius Corax in den Weg geschleudert hatte. »Ich habe dich gefragt: Was hat das alles zu bedeuten?«
Attilius versuchte zu sprechen. Seine Stimme war heiser, seine Zunge schwer. Er wollte sagen, dass Exomnius sich nicht geirrt hatte, dass hier eine entsetzliche Gefahr lauerte, aber er brachte die Worte nicht heraus. Corax starrte auf den Toten und schüttelte den Kopf. »Dieser dämliche alte Kerl, klettert in seinem Alter hier herauf! Macht sich Sorgen wegen dem Berg. Und wozu das alles? Für nichts und wieder nichts! Nichts – außer dass wir nun dich auf dem Hals haben.« Er wendete seine
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