Pompeji
hatte er das Gefühl, dass ihm die Zeit davonlief. Trotzdem entschied er sich dafür, Polites heranzuwinken. »Geh in das Bad«, befahl er, »und hole ein weiteres Dutzend Fackeln und einen Krug Olivenöl. Und eine Rolle Tau. Aber nicht mehr, verstanden? Wenn du damit fertig bist, bringst du die Karren und die Männer hinauf zum Vesuvius-Tor und wartest dort auf mich. Corax müsste eigentlich bald zurückkehren. Und während du unterwegs bist, sieh zu, ob du etwas zu essen für uns kaufen kannst.« Er gab dem Sklaven seinen Beutel. »Hier ist Geld. Hüte es für mich. Ich komme bald nach.« Er wischte die Reste von Ziegelstaub und Puteolanum von seiner Tunika und ging durch das offene Tor hinaus.
Hora septima
[14.10 Uhr]
» Wenn Magma in einer hoch gelegenen Kammer abzapfbereit ist, reicht schon eine kleine Veränderung der regionalen Spannungsverhältnisse aus, in der Regel infolge eines Erdbebens, um die Stabilität des Systems zu stören und eine Eruption auszulösen.«
Volcanology
Ampliatus' Gastmahl ging in die zweite Stunde, doch von den zwölf um den Tisch gelagerten Gästen sah nur einer so aus, als genösse er es, und das war Ampliatus selbst.
Zum einen war es erstickend heiß, obwohl eine Wand des Speisezimmers geöffnet worden war und drei Sklaven in ihrer karminroten Livree um den Tisch standen und Fächer aus Pfauenfedern schwangen. Am Schwimmbecken spielte ein Harfenist irgendeine formlose Melodie.
Und vier Gäste auf jeder Liege! Das war mindestens einer zu viel, jedenfalls nach Ansicht von Lucius Popidius, der leise stöhnte, wenn ein weiterer Gang serviert wurde. Er war ein Anhänger der Regel des Varro, der zufolge die Zahl der Gäste bei einem Festmahl nicht weniger als die der Grazien (drei) und nicht mehr als die der Musen (neun) betragen sollte. Das hier dagegen bedeutete, dass man seinen Mitspeisenden entschieden zu nahe war. Popidius zum Beispiel lag neben Ampliatus' unscheinbarer Frau Celsia und seiner Mutter Taedia – nahe genug, um die Hitze ihrer Körper zu spüren. Widerlich. Wenn er sich auf den linken Ellbogen stützte und die rechte Hand ausstreckte, um etwas vom Tisch zu holen, dann berührte sein Hinterkopf Celsias flachen Busen, und – was noch schlimmer war – sein Ring verhakte sich gelegentlich in der blonden Perücke der Mutter, Haare, die vom Kopf irgendeiner germanischen Sklavin abgeschoren worden waren und jetzt die dünnen grauen Locken der alten Dame verbargen.
Und das Essen! Begriff Ampliatus nicht, dass dieses heiße Wetter nach einfachen, kalten Speisen verlangte und dass all diese Soßen, all diese Spitzfindigkeiten schon seit der Zeit des Claudius nicht mehr Mode waren? Die ersten Vorspeisen waren nicht allzu schlecht gewesen – Austern, in Brundisium gezüchtet und dann zweihundert Meilen weit an der Küste entlang zum Mästen im Lucriner See verschifft, sodass sie den Geschmack beider Orte in sich vereinten. Oliven und Sardinen und mit gehackten Anchovis gewürzte Eier – durchaus annehmbar. Aber dann waren Hummer und Seeigel gekommen und danach in Honig und Mohnsamen panierte Mäuse. Popidius hatte sich gezwungen gefühlt, mindestens eine Maus zu verspeisen, um seinem Gastgeber zu gefallen, und beim Knacken der winzigen Knochen war ihm vor Übelkeit der Schweiß ausgebrochen.
Mit Nieren gefüllte Schweine-Euter und als Beilage dazu die Schamlippen des Schweins, die die Speisenden angrinsten wie ein zahnloser Mund. Ein gebratenes Wildschwein, gefüllt mit lebenden Drosseln, die, als der Bauch aufgeschlitzt wurde, hilflos um den Tisch herumflatterten und dabei auf ihn schissen. (Woraufhin Ampliatus in die Hände geklatscht hatte und in brüllendes Gelächter ausgebrochen war). Dann die Delikatessen: Die Zungen von Störchen und Flamingos waren gar nicht schlecht gewesen, die Zunge eines sprechenden Papageis jedoch sah nach Popidius' Ansicht aus wie eine Made und hatte auch so geschmeckt, wie er sich das Aroma einer Made vorstellte, auch wenn sie in Essig eingelegt worden war. Und dann geschmorte Nachtigallen-Lebern …
Popidius betrachtete die geröteten Gesichter seiner Mit-Gäste. Sogar der fette Brittius, der sich einmal gerühmt hatte, einen ganzen Elefantenrüssel verspeist zu haben und dessen Motto das von Seneca war – »Iss, um zu erbrechen, erbrich, um zu essen« –, begann grün auszusehen. Er erhaschte Popidius' Blick und flüsterte etwas, das Popidius nicht verstehen konnte. Er hielt die Hand ans Ohr und Brittius
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