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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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mit weit gespreizten Beinen auf einem Schemel. Als sie ihn hörte, stand sie auf und kam ihm eifrig entgegen, die Arme zum Willkommen ausgestreckt, die zinnoberroten Lippen zu einem Lächeln verzogen. Sie hatte ihre Augenbrauen mit Antimon geschwärzt und dabei die Linien so weit nach innen verlängert, dass sie über dem Nasenrücken zusammenstießen; manche Männer fanden das schön, aber Attilius erinnerte es an die Totenmasken der Popidii. Die Frau war alterslos; in dem schwachen Licht konnte er nicht sehen, ob sie fünfzehn oder fünfzig war.
    Er fragte: »Africanus?«
    »Wer?« Sie hatte einen starken Akzent. Vielleicht war sie Kilikierin. »Nicht hier«, sagte sie rasch.
    »Und was ist mit Exomnius?« Bei der Erwähnung dieses Namens klappte der geschminkte Mund weit auf. Die Hure versuchte, ihm den Weg zu versperren, aber er schob sie sanft beiseite, indem er die Hände auf ihre bloßen Schultern legte, und zog den Vorhang hinter ihr zurück. Ein nackter Mann hockte über einer offenen Latrine, seine knochigen Schenkel leuchteten in der Dunkelheit bläulich weiß. Er schaute erschrocken auf. »Africanus?«, fragte Attilius. Die Miene des Mannes war verständnislos. »Entschuldige, Bürger.« Attilius ließ den Vorhang fallen und bewegte sich auf eine der Kabinen an der anderen Seite der Vorhalle zu, aber die Hure kam ihm zuvor und versperrte ihm mit den Armen den Weg.
    »Nein«, sagte sie. »Kein Ärger. Er nicht hier.«
    »Wo dann?«
    Sie zögerte. »Oben.« Sie deutete mit dem Kinn zur Decke.
    Attilius schaute sich um. Er konnte keine Treppe entdecken.
    »Wie komme ich dort hin? Zeig es mir.«
    Weil sie sich nicht bewegte, stürmte er auf einen weiteren Vorhang zu, aber auch diesmal kam sie ihm zuvor. »Ich zeige«, sagte sie rasch. »Hier lang.«
    Sie führte ihn zu einer zweiten Tür. In der Kabine neben ihr schrie ein Mann vor Ekstase auf. Attilius trat auf die Straße hinaus. Sie folgte ihm. Im Tageslicht konnte er graue Strähnen in ihrem kunstvoll aufgetürmten Haar sehen. Rinnsale von Schweiß hatten Furchen durch die Schminke auf ihrem eingefallenen Gesicht gezogen. Sie musste schon viel Glück haben, wenn sie sich hier ihren Lebensunterhalt noch länger verdienen wollte. Ihr Besitzer würde sie hinauswerfen, und dann musste sie in der Nekropole außerhalb des Vesuvius-Tors leben und hinter den Grabmälern die Beine für die Bettler breit machen.
    Als ahnte sie, was ihm durch den Kopf ging, legte sie die Hand auf ihren Truthahnhals, zeigte auf die ein paar Schritte entfernte Treppe und kehrte ins Haus zurück. Als er die Steinstufen emporzusteigen begann, hörte er, wie sie einen leisen Pfiff ausstieß. Ich komme mir vor wie Theseus im Labyrinth, dachte er, aber ohne den Faden der Ariadne, der mir den Rückweg in die Sicherheit weist. Wenn jetzt ein Angreifer über ihm erscheinen und ein anderer ihm den Weg in die Freiheit versperren würde, hätte er keine Chance. Als er am oberen Ende der Treppe angekommen war, machte er sich nicht die Mühe, erst anzuklopfen, sondern riss die Tür auf.
    Der Gesuchte war bereits halb zum Fenster hinausgeklettert, vermutlich vom Pfiff der alten Hure gewarnt. Aber Attilius hatte das Zimmer durchquert und ihn beim Gürtel gepackt, bevor er auf das Flachdach unter ihm hinunterspringen konnte. Der Mann war leicht und dürr, und Attilius holte ihn so mühelos wieder herein, wie man einen Hund an seinem Halsband mitzerrt. Er ließ ihn auf den Teppich fallen.
    Attilius war in eine Orgie geplatzt. Zwei Männer hatten sich auf Liegen ausgestreckt. Ein Negerjunge drückte eine Flöte an seine nackte Brust. Ein Mädchen mit olivfarbener Haut, nicht älter als zwölf oder dreizehn, gleichfalls nackt und mit silbern bemalten Brustwarzen, stand, mitten in einem Tanz erstarrt, auf dem Tisch. Einen Moment lang bewegte sich niemand. Öllampen flackerten vor unbeholfen gemalten erotischen Szenen – eine Frau auf einem Mann, ein Mann, der eine Frau von hinten nahm, zwei liegende Männer mit den Fingern auf dem Schwanz des anderen. Einer der hingestreckten Männer ließ die Hand langsam sinken und tastete nach einem Messer, das neben einem Teller mit geschälten Früchten lag. Attilius setzte seinen Fuß fest auf Africanus' Rücken. Africanus stöhnte, und der Mann zog seine Hand rasch zurück.
    »Gut.« Attilius nickte, lächelte. Er bückte sich, packte Africanus wieder beim Gürtel und zerrte ihn zur Tür hinaus.
     
    »Junge Mädchen!«, sagte Ampliatus, als das Geräusch von

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