Ponyherz, Band 1: Anni findet ein Pony (German Edition)
Fahrrad heraus, denn Annis Fahrrad haben sie beim Umzug aus Versehen in Hamburg stehenlassen. Als ihre Eltern es holen wollten, hatte es jemand geklaut.
Das Fahrrad von Mama quietscht beim Anfahren genauso laut wie das alte Gartentor.
Bloß schnell los, bevor der Erste im Haus munter wird.
Anni radelt, ohne innezuhalten, um die nächste Kurve. Dort bleibt sie stehen und lauscht gespannt in den Morgen.
Bis auf ein paar quakende Frösche ist nichts zu hören. Kein Wiehern weit und breit.
Aber Anni fährt weiter.
Ponyherz hat nach ihr gerufen, da ist sie sich ganz sicher.
Auf Mamas alter Möhre ist sie ruck, zuck am Waldrand. Ab hier geht es zu Fuß schneller. Sie lehnt das Fahrrad an eine Pappel und läuft quer durch den Wald Richtung Blumenwiese. Dorthin ist Ponyherz das letzte Mal verschwunden. Ihr klopfendes Herz verrät ihr, dass sie genau hier ihr Pony wiedertreffen wird.
Anni kommt gerade rechtzeitig.
Genau in dem Moment, als sie die Wiese erreicht, taucht die Wildpferdherde auf.
Anni bleibt vor Aufregung fast die Luft weg. Ein Tier nach dem anderen kommt aus dem Wald. Die Pferde traben übermütig nebeneinanderher und beginnen um die Wette an den bunten Blumen zu rupfen.
So wunderschön hat sich Anni die Pferde nicht einmal in ihren Träumen vorgestellt! Wie Sternschnuppen, die vom Himmel gefallen sind!
Sie hat überall Gänsehaut, bis in den linken kleinen Zeh. Am liebsten würde sie losrennen und mitten hinein in die Herde laufen. Denn komisch – obwohl einige der Pferde ziemlich groß sind: Anni hat gar keine Angst.
Fieberhaft hält sie nach Ponyherz Ausschau. Sie kann ihn nirgendwo entdecken und fühlt doch mit jeder Pore, dass er da ist.
Ein großes Pferd sieht Ponyherz irgendwie ähnlich – vielleicht weil es im ersten Sonnenlicht funkelt wie Kristall. Das ist bestimmt die Mutter von Ponyherz.
Wo ist Ponyherz?
Schließlich hält sie es nicht mehr aus.
»Ponyherz!«, ruft Anni laut. »Wo bist du? Ich bin hier!«
Ein vertrautes Wiehern!
Anni hüpft vor Freude einen halben Meter in die Luft.
Ponyherz galoppiert mit wehender Mähne auf Anni zu. Sein goldbraunes Fell leuchtet in der Morgensonne wie der kostbarste Edelstein.
Schnaubend bleibt Ponyherz vor Anni stehen. Übermütig wirft er den Kopf hin und her. Seine dunklen Augen blitzen unternehmungslustig.
»Ponyherz!«, flüstert Anni glücklich. »Guten Morgen.« Sie streckt die Hand aus und berührt vorsichtig die Mähne des Ponys.
Ponyherz drückt seine Flanke an Annis Schulter und trabt einen kurzen Schritt los. Wie weicher Samt fühlt sich das an. Anni saugt tief Luft ein.
Ponyherz riecht so gut. Nach frischem Gras und Erde und Pferd.
Eng aneinandergedrängt laufen die beiden mitten in die Herde hinein. Die fremden Tiere zeigen gar keine Scheu vor Anni, sondern grasen ungerührt weiter.
Anni legt ihre flache Hand auf Ponyherz’ Hals und zeigt ihm durch behutsames Drücken die Richtung, in die sie gehen möchte. Als hätte sie das immer schon so gemacht.
Erst an einer Mauer, die noch von dem alten Parcours übrig geblieben ist, bleibt Anni stehen.
Auch Ponyherz hält an.
Furchtlos klettert Anni auf die Mauer und schwingt sich, ohne nachzudenken, auf den Rücken von Ponyherz. Ruhig lässt es das Pony geschehen.
Oben angelangt legt sich Anni ganz flach auf sein warmes Fell und umfasst mit beiden Händen seinen Hals.
Wie gut sich Ponyherz anfühlt! Sanft streichelt Anni über seine struppige Mähne und presst ihr heißes Gesicht dagegen. Dann schließt sie ihre Augen und atmet seinen Duft tief ein.
So verharren beide eine halbe Ewigkeit.
Jetzt mit meinem Ponyherz über die Wiese zu traben wäre ein Traum, wünscht sich Anni sehnsüchtig. Sie drückt ihre Beine noch enger an das Pony.
Im selben Moment trabt Ponyherz im Zeitlupentempo los.
Ein warmes Gefühl durchströmt Annis Körper. Von den Haarspitzen bis ganz hinunter in ihren kleinsten Zeh. Sie kann gar nicht mehr sagen, wo Ponyherz anfängt und Anni aufhört. Als würden beide in dieser Sekunde eins werden.
Ach, Ponyherz, du bist mein Freund für immer und ewig!, seufzt sie glücklich in seine Mähne. Sie kuschelt sich dicht an ihn. Fast ist es, als wäre sie Teil der Wildpferdherde.
Ganz in der Nähe spielen zwei junge Pferde miteinander Fangen. Andere knabbern sich die Mähnen. Es sieht aus, als ob sie sich gegenseitig bürsten würden. Ganz schön schlau!
Inzwischen steigt die Sonne immer höher, der Wald erwacht und die erwachsenen Pferde werden unruhig.
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