Poor Economics
sich in sich selbst erfüllende Prophezeiungen. Kinder verlieren den Mut, wenn ihre Lehrer (und manchmal auch ihre Eltern) ihnen zu verstehen geben, dass sie nicht klug genug sind, um die Anforderungen des Lehrplans zu erfüllen. Obstverkäufer geben sich keine Mühe, ihre Schulden zurückzubezahlen, weil sie meinen, dass sie sich sowieso gleich wieder verschulden werden. Krankenschwestern gehen nicht mehr zur Arbeit, weil niemand damit rechnet, sie dort anzutreffen. Politiker, von denen niemand erwartet, dass sie etwas zuwege bringen, haben keine Motivation, das Leben der Menschen zu verbessern. Die Erwartungen zu ändern ist schwierig, aber nicht unmöglich: Nachdem sie einen weiblichen Dorfvorsteher erlebt hatten, gaben die Dorfbewohner nicht nur ihre Vorurteile gegen Frauen in der Politik auf, sondern begannen sogar darüber nachzudenken, ob ihre Tochter nicht vielleicht Politikerin werden könnte. Lehrer, denen man erklärt hatte, dass sie nichts weiter tun brauchen, als allen Kindern Lesen beizubringen, schafften das im Laufe eines Feriencamps. Das Wichtigste an Erwartungen ist, dass Erfolg oft zum Selbstläufer wird. Sobald sich eine Situation verbessert, wirkt sich die Verbesserung auf Überzeugungen und Verhalten aus. Das ist ein weiterer Grund, weshalb man sich nicht scheuen sollte, Dinge (Geld eingeschlossen) zu verschenken, wenn es darum geht, einen Circulus virtuosus in Gang zu setzen.
Trotz dieser fünf Ecksteine sind wir meilenweit davon entfernt, alles zu wissen, was man wissen könnte und sollte. In gewisser Weise ist dieses Buch nur die Aufforderung, genauer hinzusehen. Wenn wir das träge, schematische Denken aufgeben, das jedes Problem auf die gleichen allgemeinen Prinzipien reduziert, wenn wir den Armen richtig zuhören und uns bemühen, die Logik ihrer Entscheidungen zu verstehen, wenn wir akzeptieren, dass wir uns irren können, und jede scheinbar noch so vernünftige Idee strengen empirischen Tests unterziehen, dann werden wir nicht nur in der Lage sein, effektive Maßnahmen zu entwickeln,
sondern auch besser verstehen, warum die Armen so leben, wie sie leben. So mit Geduld und Verständnis gewappnet, können wir Armutsfallen entdecken, wo wirklich welche sind, und herausfinden, welche Werkzeuge wir einsetzen müssen, um den Armen aus diesen Fallen herauszuhelfen.
Über Makroökonomie und institutionelle Reformen haben wir jetzt nicht viel gesagt, aber lassen Sie sich von dem scheinbar bescheidenen Ansatz nicht täuschen: Kleine Änderungen können große Wirkungen erzielen. Darmwürmer sind vermutlich das Letzte, worüber Sie bei einem geselligen Abend plaudern möchten, aber kenianische Kinder, die in der Schule zwei Jahre statt ein Jahr lang gegen Würmer behandelt worden waren (zum Preis von 1,36 PPP-USD pro Kind und Jahr, alles inklusive), verdienten als Erwachsene jedes Jahr 20 Prozent mehr, das sind 3269 PPP-USD auf ihr ganzes Leben bezogen. Der Effekt könnte sich verringern, wenn alle Kinder entwurmt werden: Die Kinder, die das Glück gehabt hatten, in dieses Programm zu kommen, konnten dadurch vielleicht Jobs bekommen, die sonst anderen zugefallen wären. Um diese Zahl richtig einzuordnen, müssen Sie wissen, dass die höchste anhaltende Pro-Kopf-Wachstumsrate in der jüngeren Geschichte Kenias in den Jahren 2006 bis 2008 bei 4,5 Prozent lag. Wenn wir einen makroökonomischen Hebel betätigen könnten, der dieses zuvor nie dagewesene Wachstum wiederholen könnte, würde es immer noch vier Jahre dauern, bis das Durchschnittseinkommen um 20 Prozent gestiegen wäre. Und wie es aussieht, hat niemand einen solchen Hebel.
Auch wir verfügen über keinen Hebel, mit dem sich die Armut todsicher beseitigen lässt, doch wenn wir das einmal akzeptiert haben, arbeitet die Zeit für uns. Die Armut begleitet die Menschheit seit vielen Tausend Jahren, und wenn wir nun noch einmal fünfzig oder hundert Jahre warten müssen, dann sei’s drum. Aber wir können zumindest aufhören, so zu tun, als gebe es eine Patentlösungen, und uns stattdessen mit den Millionen engagierter Menschen rund um die Welt zusammentun – all den Regierungsvertretern
und Beamten, Lehrern und Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftlern und Unternehmern, die wie wir auf der Suche nach neuen Ideen sind, großen und kleinen Ideen, die uns am Ende in eine Welt führen, wo niemand mehr von 99 US-Cent pro Tag leben muss.
Dank
Dass wir Entwicklungsökonomen wurden, liegt an unseren Müttern, Nirmala
Weitere Kostenlose Bücher