Poor Economics
Dann verschwand er und ward nicht mehr gesehen. Ibu Tina und ihr Mann hatten also 4,5 Millionen Rupien bezahlt, um vier Millionen Rupien zurückzuerhalten.
In den nächsten drei, vier Jahren gaben sie sich alle Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Schließlich gelang es ihnen, aus einem staatlichen Programm zur Förderung kleiner Geschäfte und Kooperativen ( Pemberdayaan Usaha Kecil dan Koperasi, PUKK) ein Darlehen über 15 Millionen Rupien (2 800 PPP-USD) zu erhalten, mithilfe dessen sie wieder in den Kleiderhandel einstiegen. Einer ihrer ersten Kunden bestellte Shorts. Sie kauften die Hosen bei einer Kleiderfabrik, ließen sie bügeln und verpacken, doch dann sprang der Käufer ab und ließ sie auf Tausenden von Shorts sitzen, die niemand haben wollte.
Diese Pechsträhne belastete ihre Ehe schwer, und kurz nach dem zweiten Misserfolg ließen sie sich scheiden. Ibu Tina zog mit ihren vier Kindern und den unverkauften Hosen zu ihrer Mutter. Als wir sie kennenlernten, hatte sie sich noch immer nicht von dem Schock erholt und sagte, für einen Neuanfang fehle es ihr schlicht an Energie. Sie hoffte, irgendwann, wenn sie sich besser fühlte, eine kleinen Lebensmittelladen im Haus ihrer Mutter zu eröffnen, wo sie vielleicht auch ein paar von den Shorts für den muslimischen Feiertag Idu l-Fitr, das Fest des Fastenbrechens, verkaufen könnte.
Zu allem Unglück brauchte ihre älteste Tochter eine Menge Zuwendung. Vier Jahre zuvor, im Alter von 15, war sie von einem Obdachlosen aus der Nachbarschaft entführt worden. Der Mann ließ sie zwar nach ein paar Tagen frei, doch das Mädchen war traumatisiert und verließ das Haus nicht mehr, es konnte weder eine Schule besuchen noch arbeiten gehen.
Hatte Ibu Tina einfach nur besonders viel Pech gehabt? In gewisser Weise schon. Die Entführung ihrer Tochter hielt sie für einen grausamen Zufall (obwohl das auch etwas damit zu tun hatte, dass ihr Haus in der Nähe der Eisenbahn lag, wo sich viele Obdachlose
aufhielten), doch ihr berufliches Unglück war in ihren Augen symptomatisch für das Leben kleiner Geschäftsleute.
Unwägbarkeiten im Leben der Armen
Ein gemeinsamer Freund aus der Welt der Hochfinanz pflegt zu sagen, die Armen seien wie Hedgefonds-Manager – sie leben mit vielen Risiken. Der einzige Unterschied sei die Höhe ihres Einkommens. Hier untertreibt er natürlich ganz gewaltig: Kein Hedgefonds-Manager haftet zu 100 Prozent für seine Verluste, im Gegensatz zu den allermeisten kleinen Ladenbesitzern oder Bauern. Außerdem müssen die Armen das Kapital für ihre Unternehmungen entweder von den angehäuften »Reichtümern« ihrer Familie abziehen oder irgendwo einen Kredit aufnehmen, eine Situation, mit der Hedgefonds-Manager in der Regel nicht konfrontiert werden.
Sehr viele Arme betreiben ein kleines Geschäft oder etwas Landwirtschaft. Unser 18-Länder-Vergleich ergab, dass durchschnittlich 50 Prozent der armen Städter ein Geschäft hatten, während zwischen 25 und 98 Prozent der Armen auf dem Land Bauern waren (eine Ausnahme stellt Südafrika dar, wo die schwarze Bevölkerung traditionell keine Landwirtschaft betreiben durfte). Ein beträchtlicher Teil dieser bäuerlichen Haushalte hatte daneben noch ein anderes Geschäft. Das von den Armen bewirtschaftete Land wird in der Regel nicht bewässert, das heißt, das Einkommen aus der Landwirtschaft ist in hohem Maße vom Wetter abhängig. Eine Dürre oder auch nur eine spät einsetzende Regenzeit kann auf nicht bewässertem Land zu einer Missernte führen und das halbe Jahreseinkommen kosten.
Bauern und Ladenbesitzer sind nicht die Einzigen, deren Einkommen unsicher ist. Die andere wichtige Form der Erwerbstätigkeit der Armen ist die Gelegenheitsarbeit, die pro Tag bezahlt wird. Gelegenheitsarbeiter machen mehr als die Hälfte der Ärmsten in ländlichen Regionen aus, die in einem Beschäftigungsverhältnis
stehen. In der Stadt sind es 40 Prozent. Wenn er Glück hat, bekommt ein Tagelöhner für mehrere Wochen oder gar Monate einen Job auf einer Baustelle oder einer Farm, meist wird er aber nur für ein paar Tage oder wenige Wochen angeheuert. Ein Gelegenheitsarbeiter weiß nie, ob er einen neuen Job hat, wenn der momentane zu Ende ist. Wenn das Geschäft schlecht läuft, werden diese Jobs als erste eingespart. Bald nachdem Dünger-und Ölpreise gestiegen waren, sparten die Bauern bei der Arbeitskraft, und Pak Solhin, den wir in Kapitel 2 kennengelernt haben, verlor seinen Job. Aus diesem Grund kommen die
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