Poor Economics
Auswirkungen des Betrugs auf Ibu Tinas Vermögen
Zweitens kann ein negatives Ereignis, wenn die Beziehung zwischen dem heutigen und dem zukünftigen Einkommen die Form einer S-Kurve hat, sehr viel schlimmere Auswirkungen haben als bloß vorübergehende Traurigkeit. Abbildung 3 zeigt die Beziehung zwischen den heutigen und den zukünftigen Vermögensverhältnissen von Ibu Tina, der indonesischen Geschäftsfrau.
Wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, kann es eine Armutsfalle geben, wenn sich Investitionen für die, die wenig investieren können, kaum und für die, die genug investieren können, mehr auszahlen. Ibu Tina befand sich in einer solchen Situation. Bei ihr hatte die Beziehung zwischen heutigem und zukünftigem Vermögen die Form einer S-Kurve, weil ihr Geschäft eine gewisse Größe brauchte, um profitabel zu sein (in Kapitel 9 werden wir sehen, dass dies ein wesentliches Merkmal von Geschäften ist, die Arme betreiben; Ibu Tinas Geschichte ist also kein Einzelfall).Vor dem Betrug hatten sie und ihr Mann vier Angestellte und genug Geld, um Material und Nähmaschinen für die Herstellung von Kleidern zu kaufen. Das war sehr profitabel. Danach konnten sie nur noch vorgefertige Shorts kaufen und sie verpacken, eine Tätigkeit, die sehr viel weniger (oder gar nicht) profitabel ist. Vor der Geschichte mit dem geplatzten Scheck befanden sich Ibu Tina und ihr Ehemann außerhalb des Bereichs der Armutsfalle. Wenn wir ihrem Weg über die Zeit folgen, sehen wir, dass sie auf gutem Weg zu einem ordentlichen Einkommen waren. Durch den Betrug jedoch verloren sie ihr gesamtes Vermögen. Dadurch gerieten sie in den Bereich der Armutsfalle. Danach verdienten sie so wenig Geld, dass sie mit der Zeit immer ärmer wurden. Als wir Ibu Tina begegneten, war sie auf die Unterstützung durch ihre Brüder angewiesen. Ein Schicksalsschlag kann in einer S-förmigen Welt dauerhafte Folgen haben. Wenn die Beziehung zwischen dem heutigen und dem zukünftigen Einkommen die Form einer S-Kurve besitzt, kann eine Familie vom Weg in Richtung Mittelschicht in die dauerhafte Armut abstürzen.
Häufig wird diese Entwicklung von einem psychischen Prozess verstärkt. Für jemanden, der die Hoffnung verloren hat und
glaubt, dass es wahrscheinlich keinen Ausweg gibt, ist es sehr schwer, die Disziplin aufzubringen, die man benötigt, um aus dem tiefen Loch wieder herauszuklettern. Das haben wir sowohl bei Ibu Tina als auch bei Pak Solhin gesehen, dem früheren Landarbeiter aus Kapitel 2, der nun gelegentlich Fische fängt. Beide machten nicht den Eindruck, als seien sie in der psychischen Verfassung, sich selbst am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen und neu zu beginnen. In Udaipur trafen wir einen Mann, der auf eine Standardfrage in unserem Fragebogen antwortete, »Sorge, Angst und Traurigkeit« hätten ihn so bedrückt, dass er einen Monat lang seiner normalen Tätigkeit nicht mehr habe nachgehen können. Wir fragten ihn nach dem Grund, und er antwortete, sein Kamel sei gestorben, seitdem sei er in tiefer Trauer. Vielleicht war es etwas naiv, aber wir fragten weiter, ob er etwas gegen seine Niedergeschlagenheit unternommen habe (ob er zum Beispiel mit einem Freund, einem Gesundheitshelfer oder einem traditionellen Heiler geredet habe). Er antwortete leicht verärgert: »Ich habe ein Kamel verloren. Da ist es doch normal, traurig zu sein. Dagegen kann man nichts machen.«
Häufig sind verschiedene psychische Kräfte am Werk: Das Gefühl, Gefahren ausgesetzt zu sein (nicht nur finanziellen, sondern auch solchen für Leib und Leben), macht uns Sorgen, und Sorgen verursachen Stress und Depressionen. Bei Armen werden sehr viel häufiger Depressionssymptome beobachtet. Wer gestresst ist, hat größere Schwierigkeiten sich zu konzentrieren, was zu geringerer Produktivität führt. Es gibt sogar einen starken statistischen Zusammenhang zwischen Armut und dem Cortisolspiegel im Blut; Cortisol wird vom Körper produziert und ist ein Stressanzeiger. Umgekehrt sinken die Cortisolspiegel, wenn die Haushalte Hilfe erhalten. Kinder, deren Familien Geld von PROGRESA, dem mexikanischen Bargeldtransfer-Programm, erhielten, wiesen signifikant niedrigere Cortisolwerte auf als vergleichbare Kinder, deren Familien nicht durch dieses Programm unterstützt wurden. Dieser Befund ist wichtig, denn Cortisol kann die kognitiven Fähigkeiten und die Fähigkeit, Entscheidungen
zu treffen, tatsächlich direkt beeinträchtigen: Die stressbedingte Freisetzung von Cortisol hat
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