Poor Economics
einfach nicht leisten? Werden sie von ihren Alltagsproblemen so absorbiert, dass ihnen der Kopf
für Zukunftsüberlegungen fehlt, oder gibt es noch ganz andere Gründe? Wenn wir diesen Fragen nachgehen, lernen wir nach und nach, was an den Armen (wenn überhaupt) anders ist: Leben sie genau wie alle anderen auch, nur mit weniger Geld? Oder ist das Leben in extremer Armut völlig anders? Und wenn es Unterschiede gibt: Sind sie es, die die Armen in der Armut gefangen halten?
Die Armutsfalle
Es ist kein Zufall, dass Jeffrey Sachs und William Easterly so grundsätzlich verschiedene Auffassungen darüber vertreten, ob Moskitonetze verkauft oder verschenkt werden sollten. Die Positionen zu Entwicklungshilfe und Armut, die viele Experten aus reichen Ländern einnehmen, sind meistens von ihrer jeweiligen Weltsicht geprägt – selbst wenn man, wie im Fall der Kosten für Moskitonetze, konkrete Fragen stellen kann, auf die es konkrete Antworten geben sollte. Leicht überspitzt könnte man sagen, auf der linken Seite des Spektrums steht Jeffrey Sachs (zusammen mit den Vereinten Nationen, der Weltgesundheitsorganisation und dem größten Teil des Entwicklungshilfe-Establishments); er will mehr Geld für Entwicklungshilfe ausgeben und ist der generellen Überzeugung, dass man Dünger, Moskitonetze, Computer für Schulen und so weiter verschenken und die Armen dazu bewegen sollte, das zu tun, wovon wir (oder Sachs, oder die UN) glauben, es sei gut für sie. Beispielsweise sollte man Kinder in der Schule mit Mahlzeiten versorgen, damit ihre Eltern sie regelmäßig zur Schule schicken. Auf der rechten Seite stehen Will Easterly, Dambisa Moyo, das American Enterprise Institute und viele andere; sie sind gegen Entwicklungshilfe, und zwar nicht nur weil dadurch Regierungen korrumpiert werden, sondern auch weil sie glauben, dass wir auf einer ganz grundsätzlichen Ebene die freie Entscheidung von anderen respektieren sollten – und wenn jemand etwas nicht will, ist es sinnlos, ihn zu zwingen. Wenn Kinder
nicht zur Schule gehen wollen, bedeutet das, dass Bildung ihnen nichts bringt.
Bei beiden Positionen kann man nicht einfach von reflexhaften ideologischen Reaktionen sprechen. Sachs und Easterly sind beide Ökonomen und ihre Meinungsverschiedenheiten gehen zum größten Teil auf unterschiedliche Antworten auf eine ökonomische Frage zurück: Gibt es eine Armutsfalle? Wie bereits erwähnt, ist Sachs der Auffassung, dass manche Länder wegen ihrer Geographie oder widriger Umstände in der Armut gefangen sind: Sie sind arm, weil sie arm sind. Sie besitzen das Potenzial dafür, reich zu werden, aber sie brauchen eine Anschubhilfe, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen und in Richtung Wohlstand auf den Weg zu bringen; daher ist Sachs die kräftige Anschubfinanzierung so wichtig. Easterly dagegen weist darauf hin, dass viele Staaten, die einmal arm waren, heute reich sind, und umgekehrt. Wenn Armut kein Dauerzustand ist, so sein Argument, dann ist die Vorstellung von einer Armutsfalle, in der arme Länder unentrinnbar festsitzen, ein Hirngespinst.
Dieselbe Frage lässt sich auch im Hinblick auf Einzelpersonen stellen. Kann jemand in der Armutsfalle festsitzen? Wenn dem so wäre, dann könnte eine einmalige große Finanzspritze das Leben eines Menschen von Grund auf verändern, weil ihn das auf eine neue Bahn lenkt. Dieser Gedanke steht hinter dem Millennium Villages Project von Jeffrey Sachs. Die Bewohner der glücklichen Dörfer bekommen kostenlosen Dünger, Schulspeisung, funktionierende Gesundheitsstationen, Schulcomputer und vieles mehr. Kosten: eine halbe Million US-Dollar pro Dorf und Jahr. Auf der Website des Projekts ist zu lesen, man hoffe, dass »die Wirtschaft in den Millennium-Dörfern mit der Zeit von der Landwirtschaft, die gerade für die Grundversorgung ausreicht, in einen sich selbst tragenden Handel übergeht«. 18
In einem für den Sender MTV produzierten Video besuchen Jeffrey Sachs und die Schauspielerin Angelina Jolie das Dorf Sauri in Kenia, eines der ältesten Millenniums-Dörfer. Dort treffen sie einen jungen Bauern namens Kennedy. Er hatte kostenlosen
Dünger bekommen, und nun fällt seine Ernte zwanzigmal höher aus als in den Jahren zuvor. Mit dem Ersparten aus dieser Ernte, so das Video, wird er in der Lage sein, in Zukunft für sich selbst zu sorgen. Unausgesprochen steht dabei im Raum, dass Kennedy in der Armutsfalle saß und sich deshalb keinen Dünger leisten konnte. Der kostenlose Dünger befreite
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