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Poor Economics

Poor Economics

Titel: Poor Economics Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abhijit Banerjee , Esther Duflo
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zurückzahlen – das würden Sie sicher nur dann tun, wenn der Grenzertrag unter 4 Prozent liegt. Für Menschen, die sich für einen Zinssatz von 4 Prozent pro Monat Geld leihen, heißt das, dass ihr Grenzertrag mindestens 4 Prozent pro Monat sein muss. Die Armen haben bewiesen, dass sie mit Krediten und Kreditrückzahlungen umgehen können, und die hohen Gewinne, die sie mit den 250-Dollar-Zuschüssen in dem Sri-Lanka-Experiment erzielt haben, zeigen uns, dass die Geschäfte der Armen einen hohen Grenzertrag aufweisen. Es könnte sich lohnen, ein wenig zu expandieren.
    Unter dem Gesamtertrag eines Unternehmens versteht man dagegen die gesamten Erlöse abzüglich der betrieblichen Aufwendungen (Materialkosten, Löhne und so weiter); es ist das, was unter dem Strich übrig bleibt. Auf den Gesamtertrag sollten Sie als Erstes schauen, wenn es darum geht, ob Sie eine bestimmte Art
von Geschäft betreiben wollen oder nicht. Wenn der Gesamtertrag den Wert Ihrer Arbeitszeit und die Kosten für das Geschäft nicht abdeckt und Sie nicht sicher sein können, dass sich das in absehbarer Zeit spürbar bessert, dann sollten Sie die Finger davon lassen.
    Der scheinbare Widerspruch klärt sich auf, wenn man weiß, dass Grenzerträge hoch sein können, selbst wenn die Gesamterträge niedrig sind. Die Kurve OP in Abbildung 5 stellt die Beziehung zwischen der Höhe der Investitionen in das Unternehmen (auf der waagrechten Achse OI aufgetragen) und den Gesamterträgen (»Produktion« auf der senkrechten Achse OR) dar; Ökonomen bezeichnen diese Beziehung auch als Produktionsfunktion. Der Gesamtertrag (»Produktion«) ist für jedes investierte Kapital der Größe K so hoch wie die Kurve, der Grenzertrag dagegen ergibt sich aus dem Höhenunterschied der Kurve, wenn man von K nach K+1 geht. Er sagt uns, um wie viel der Grenzertrag wächst, wenn wir die Investitionen in unser Unternehmen etwas erhöhen.
    Abbildung 5: Grenz- und Gesamtertrag
    Die Kurve in Abbildung 5 ähnelt der L-Kurve, über die wir in Kapitel 1 gesprochen haben (siehe S. 30): Die Erträge sind zunächst hoch und sinken dann. Am steilsten ist die Kurve OP nahe dem Punkt O, wenn die Investitionen gering sind, und sie flacht langsam ab, je mehr sie sich P nähert. Das heißt, eine Erhöhung des investierten Betrags bringt am meisten, wenn die erste Investition gering war, und rentiert sich dann immer weniger. Oder andersherum: Der Grenzertrag ist hoch, wenn die Investition klein ist.
    Nehmen wir, um das Ganze anschaulicher zu machen, eine Frau, die gerade in ihrem Haus einen Laden eröffnet hat. Sie hat dafür ein paar Regale und einen Tresen angeschafft. Dann ist ihr das Geld ausgegangen, und nun hat sie nichts zum Verkaufen. Der Gesamtertrag ihres Geschäfts ist 0, er vermag die Kosten für die Ladeneinrichtung nicht zu decken. Dann leiht ihr ihre Mutter 100 000 Rupien (18 PPP-USD), mit denen sie ein paar Schachteln Kekse kauft, die sie in ihre Regale legt. Die Kinder aus der Nachbarschaft stellen fest, dass die Frau ihre Lieblingskekse im Angebot hat, und kaufen alle. Sie nimmt 150 000 Rupien ein und erzielt so einen Grenzertrag von 1,5 Rupien pro Rupie aus dem Kredit ihrer Mutter; das sind netto 50 Prozent, nicht schlecht für eine Woche. Der Gesamtertrag liegt aber nur bei 50 000 Rupien, und das reicht nicht, um die Kosten für ihre Regale und ihre Arbeitszeit zu decken.
    Unsere Ladenbesitzerin nimmt also einen Kredit von 3 Millionen Rupien auf, mit denen sie so viele Kekse und andere Süßigkeiten kauft, dass ihre Regale gut gefüllt sind. Die Kinder erzählen ihren Freunden von dem Laden, und die Frau kann den größten Teil ihres Warenbestands verkaufen. Da es jedoch eine Weile dauert, bis all die neuen Kunden vorbeikommen, werden einige der Kekse weich und können nicht mehr verkauft werden. Doch ihre Einnahmen belaufen sich immer noch auf 3,6 Millionen Rupien pro Woche. Der Grenzertrag ist nun viel niedriger als 50 Prozent. Ihre zweite Investition war 30-mal größer als die erste (3 Millionen gegen über 100 000 Rupien), aber ihre Einnahmen
waren nur zwölfmal so hoch. Dennoch hat sie einen Gesamtertrag von 600 000 Rupien (107 PPP-USD) erzielt, das ist genug, um dem Laden eine Chance zu geben.
    Genau so stellt sich die Situation für viele Arme dar. Die leeren Regale, zum Beispiel, sind keineswegs unserer Phantasie entsprungen. Wir haben einen Laden am Stadtrand von Gulbarga im indischen Bundesstaat Karnataka besucht, etwa fünf Autostunden von Hyderabad

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