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Poor Economics

Poor Economics

Titel: Poor Economics Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abhijit Banerjee , Esther Duflo
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Selbst wenn wir eine Inflationsrate von 10 Prozent annehmen würden, wäre ein um die Inflationsrate bereinigtes Nettowachstum von 70 Prozent pro Jahr mehr als beeindruckend. Sie war jetzt eine angesehene Unternehmerin. Bald darauf konnte Xu Aihua die ersten Exportverträge abschließen, und heute verkauft sie an Macy’s, Benetton, J. C. Penney und andere große Ketten. Im Jahr 2008 investierte sie zum ersten Mal in Immobilien – im Wert von 20 Millionen Yuan (4,4 Millionen PPP-USD) –, weil sie, wie sie sagte, im Gegensatz zu den meisten anderen Leuten etwas Geld übrig hatte.
    Die Geschichte von Xu Aihua darf man natürlich nicht verallgemeinern: Sie war ausgesprochen intelligent und ihr Dorf hatte sie zur Schule geschickt. Trotzdem gibt es jede Menge Geschichten über erfolgreiche, von Armen gegründete Unternehmen. Und es herrscht gewiss auch kein Mangel an Unternehmern. Den Daten unseres 18-Länder-Vergleichs zufolge haben 50 Prozent der extrem Armen in städtischen Gebieten (die von weniger als 99 US-Cent am Tag leben) ein Geschäft. Sogar von den auf dem Land lebenden Ärmsten führen viele – von 7 Prozent in Udaipur bis 50 Prozent in Ecuador – ein Geschäft, das nichts mit Landwirtschaft zu tun hat, dazu kommen noch die vielen, die Landwirtschaft betreiben. Die Zahl der Unternehmer unter den nicht ganz so Armen in denselben Ländern ist etwa genauso groß. Vergleichen wir das mit Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit ( Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD): 12 Prozent der Erwerbstätigen bezeichnen sich als selbstständig. Wenn man allein von den Angaben zur Beschäftigung ausgeht, scheinen in armen Ländern in fast allen Einkommensgruppen mehr Menschen unternehmerisch tätig zu sein als in den entwickelten Ländern – eine Beobachtung, die Tarun Khanna von der Harvard Business School zu seinem Buch Billions of Entrepreneurs (»Milliarden von Unternehmern«) inspirierte. 2

    Die schiere Zahl von Menschen, die ein Geschäft betreiben, ist beeindruckend. Trotzdem scheint alles gegen Arme als Unternehmer zu sprechen. Sie haben (schon definitionsgemäß) wenig Eigenkapital und kaum Zugang zu Versicherungen, Banken und anderen erschwinglichen Finanzquellen. Für Menschen, die sich nicht genug bei Freunden und Angehörigen leihen können, sind Geldverleiher die Hauptquelle für nicht gebundene Finanzierungen (ein Lieferantenkredit ist ein Beispiel für eine gebundene Finanzierung, denn er ist an die Bedingung geknüpft, dass damit etwas gekauft wird, er darf nicht für Lohnzahlungen verwendet werden) und sie verlangen mindestens 4 Prozent Zinsen pro Monat. Folge ist, dass Arme seltener in der Lage sind, die zum Betreiben eines Geschäfts notwendigen Investitionen zu tätigen, und anfälliger für all die zusätzlichen Risiken, die sich daraus ergeben. Die Tatsache, dass sie dennoch fast ebenso häufig Geschäfte eröffnen wie wohlhabendere Zeitgenossen, wird oft als Zeichen ihres Unternehmergeists interpretiert.
    Wenn es die Armen schaffen, trotz der enorm hohen Zinsen, die sie zu zahlen haben, noch so viel Geld zu verdienen, dass sie ihre Kredite abbezahlen können (und das tun sie sehr zuverlässig, wie wir gesehen haben), müssen sie aus jeder investierten Rupie mehr als eine Rupie herausholen. Andernfalls würden sie sich ja kein Geld leihen. Das bedeutet, das Geld, das sie in ihre Geschäfte investieren, bringt einen ziemlich hohen Ertrag: 50 Prozent pro Jahr sind keine Seltenheit, und das ist schon deutlich mehr als man durch Investieren in den Dow Jones gewinnen kann (vor allem in diesen Tagen, aber selbst dessen langfristige Rendite liegt nur bei etwa 9 Prozent pro Jahr).
    Selbstverständlich leiht sich nicht jeder Geld. Vielleicht tun das nur die paar Unternehmer, die mit ihren Geschäften besonders hohe Gewinne einfahren, und alle anderen verzeichnen sehr niedrige Erträge. Ein in Sri Lanka durchgeführtes Projekt legt eine andere Vermutung nahe. Man hatte die Inhaber von kleinen Geschäften – Krämerläden, Werkstätten, Klöpplerinnen und andere  – eingeladen, an einer Lotterie teilzunehmen. Die Gewinner
(zwei Drittel der Teilnehmer) sollten einen Zuschuss für ihr Geschäft erhalten, und zwar in Höhe von 10 000 oder 20 000 Rupien (250 bzw. 500 PPP-USD). 3
    Gemessen an internationalen Standards waren die Zuschüsse winzig, aber für diese Art von Geschäften hatten sie eine ganz vernünftige Größenordnung; bei vielen

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