PopCo
gar nicht um ihn. Er hat keine
Manieren. Ich heiße Mike, und mein Freund hier heißt John. Wir versuchen schon länger, Kontakt zu deinem Großvater aufzunehmen.»
Ich sage immer noch nichts.
«Vor ein paar Jahren hatten wir noch seine Telefonnummer, aber die haben wir leider verloren. Und wir wissen auch nicht, wo
er inzwischen wohnt. Vielleicht kannst du uns ja einen Tipp geben? Wir kennen uns noch von früher aus dem Fountain. Und wir
würden gern etwas mit ihm besprechen. Also …»
Jetzt weiß ich ganz sicher, dass sie lügen. Meine Großelternhaben überhaupt erst seit etwas über einem Jahr ein eigenes Telefon. Und es war mein Vater, der sein Feierabendbier immer
im Fountain trank, nicht mein Großvater. Dieses Wissen macht mir Angst, mein kleines Herz hüpft in der Brust wie ein Gummiball.
Das müssen böse Männer sein. Soll ich jetzt doch wegrennen?
«Ich darf nicht mit Fremden reden», sage ich.
«Aber wir sind doch keine Fremden. Wir sind Freunde deines …»
Der andere Mann, John, fällt ihm ins Wort. «Gib dir keine Mühe, Mike. Die kriegen doch beigebracht, so was zu ignorieren.
Heutzutage kannst du ein Kind nicht mal mehr nach der Uhrzeit fragen. Die kleine Schlampe wird uns gar nichts sagen.»
Meine Augen füllen sich mit Tränen. So was Schlimmes hat noch nie jemand zu mir gesagt. Mein Bus hält an der Haltestelle,
warm, einladend und voller netter Erwachsener, doch irgendetwas hindert mich am Einsteigen. Wenn die Männer wissen, welchen
Bus ich nehme, können sie viel leichter herausfinden, wo ich wohne, und ich will diese Männer gar niemals wiedersehen. Also
bleibe ich stehen, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünsche als einzusteigen, werfe einen abfälligen Blick auf den Bus und
schaue dann auf meine Armbanduhr, als würde ich denken:
Hm, immer noch nicht der richtige Bus. Wann kommt meiner denn endlich?
Kurz darauf fährt der Bus weiter, und ich bin wieder mit den beiden Männern allein. Ich warte den richtigen Moment ab, dann
renne ich los, weil ich keinen anderen Ausweg sehe. Ich renne durch die Einkaufspassage zurück ins Stadtzentrum und schaue
mich nicht mal mehr um, ob sie mich verfolgen. Ein paar Minuten später bin ich auf dem Polizeirevier, und als ich den Polizisten
erzähle, dass zwei fremde Männer mich angesprochen hätten und mir ein paar kleine Hunde zeigen wollten, fahren sie mich nach
Hause.
Als die Polizisten wieder fort sind, erzähle ich meinen Großeltern alles.
«Großartig», sagt mein Großvater. «Das hast du genau richtig gemacht.»
Meine Großmutter scheint weniger begeistert. «Du hättest den Bus nehmen sollen, Alice.»
«Aber dann hätten sie doch gewusst …»
«Es gibt auch andere Möglichkeiten herauszufinden, wo jemand wohnt. Du hast dich unnötig in Gefahr gebracht.»
Ich kann nicht mehr anders. Die ganze Zeit über war ich so tapfer, aber jetzt fange ich doch an zu weinen.
«Und dann auch noch die Polizei belügen …»
«Das war ganz richtig so, Alice», sagt mein Großvater mit Nachdruck und sieht dabei meine Großmutter an. «Wir wollen auf keinen
Fall, dass andere Leute davon erfahren, am allerwenigsten die Polizei. Stell dir nur vor, wir müssten vor Gericht und alles
würde an die Öffentlichkeit gezerrt. Das gäbe einen Riesenaufstand. Außerdem geschieht das den beiden nur recht. Und falls
sie deswegen zur Verantwortung gezogen werden … nun, dann wird es ihnen eine Lehre sein, in Zukunft keine Kinder mehr zu beschimpfen.»
«Vielleicht sollte die Polizei ja doch davon erfahren. Wer weiß, was diesen Leuten als Nächstes einfällt? Womöglich entführen
sie Alice noch. Oder sie versuchen, ihr das Medaillon wegzunehmen. Ich weiß ohnehin nicht, weshalb sie dieses blödsinnige
Medaillon ständig tragen muss, Peter, als wolltest du sie in einen lebenden, sprechenden Beweis verwandeln. Du hast sie gebrandmarkt.
Das ist doch wie Hardys Postkarte: völlig absurd. Außerdem gefährlich. Und unfair noch dazu.»
Ich habe noch nie erlebt, dass meine Großeltern sich streiten. Ich wünschte, sie würden wieder damit aufhören. Das bringt
mich alles ganz durcheinander. Was in aller Welt ist Hardys Postkarte? Und was ist falsch daran, dass ich mein Medaillontrage? Obwohl ich nichts Spannenderes besitze, will ich es plötzlich nicht mehr haben. Meine Großmutter steht auf und macht
sich selbst einen Drink, was so gut wie nie vorkommt. Mir bringt sie ein Glas Wasser.
Mein Großvater
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