PopCo
genommen?», will ich wissen.
«Er hat sich umgebracht. Mit einem vergifteten Apfel.»
«Wie Schneewittchen?»
«Ja, genau wie Schneewittchen.»
Ich erschauere. Ich weiß überhaupt erst seit kurzem, dass es Menschen gibt, die sich das Leben nehmen, und bekomme allein
von der Vorstellung Alpträume. Ich kann mir keinen Grund vorstellen, aus dem man sterben wollen sollte, und werde das ganz
sicher auch nicht besser verstehen, wenn ich erwachsen bin.
«Turing war ein großer Mann», sagt mein Großvater. «Neben seinen Bomben hat er sich auch Maschinen ausgedacht, imaginäre Computer,
die bestimmte mathematische Probleme lösen können.»
«Dann hatten sie im Krieg also wirklich schon Computer?», frage ich. Ich dachte immer, Computer wären überhaupt erst vor ein
paar Jahren erfunden worden. So, wie alle darüber reden, müssen sie noch ziemlich neu sein.
«Das kann man schon so sagen», sagt mein Großvater. «Jedenfalls konnte Turing seine Apparate zum Knacken der Enigma-Chiffren
nur deshalb konstruieren, weil er ein solches Mathematikgenie war. Es gab natürlich noch viele andere Leute dort, die an denselben
Problemen arbeiteten, aber man vermutet allgemein, dass die Alliierten ohne Turing in ihrenKriegsbemühungen um viele Jahre zurückgeworfen worden wären. Interessanterweise wollte er übrigens auch die Riemann’sche Vermutung
beweisen. Tja, nun kennst du sie. Die wichtigste mathematische Aufgabe. Durch sie haben wir den Krieg gewonnen, so wird es
zumindest behauptet.»
Ich habe noch nicht genug gehört. «Warum waren denn auch Musiker und Rätselfans in Bletchley Park?», frage ich.
«Weil solche Leute gut darin sind, Muster zu erkennen. Bei der Kryptoanalyse hat man meistens nur Teile eines Ganzen, oft
nicht einmal die Hälfte, und muss daraus den Rest erraten. Es liegt ja auf der Hand, dass Rätselfreunde und Sprachwissenschaftler
so etwas beherrschen. Und unterdessen konnten die Mathematiker die Muster mit Hilfe ihres Wissens über Zahlenfolgen und Wahrscheinlichkeiten
vervollständigen. Und jemand, der sich gut mit Musiktheorie auskennt, geht auch mathematisch an Musik heran. Musikalische
Muster basieren nämlich auch auf Mathematik. Ein Musiker begreift instinktiv, welche Note in einer Melodie wohin gehört. Beim
Dechiffrieren sind auch solche Fähigkeiten erforderlich. Schließlich basiert Musik ja vollständig auf Zahlen …»
«Echt?» Ich muss wohl ganz große, runde Augen machen. Bisher war ich immer der Ansicht, dass nichts so wenig mit Mathe zu
tun haben kann wie Musik. Ich dachte, dabei ginge es hauptsächlich um Buchstaben: C, D, E und so weiter, bis hinauf zum hohen
H, wo einem dann die Noten ausgehen und man wieder von vorn anfangen muss.
«Aber ja. Hast du je von Pythagoras und seiner Vase gehört?»
«Nein.»
«Aber du weißt, wer Pythagoras ist?»
«Nein.»
«Nun, also, Pythagoras war ein berühmter Mathematiker im alten Griechenland. Er hat den sogenannten Satz des Pythagorasentdeckt, mit dem du noch viel zu tun haben wirst, wenn du in zwei Jahren Geometrie und Trigonometrie in der Schule lernst …»
«Kannst du ihn mir nicht jetzt schon erklären?»
«Nein.» Mein Großvater lächelt. «Das brächte uns so weit vom Thema ab, dass wir nie mehr zurückfänden. Aber wenn es dich morgen
auch noch interessiert, erkläre ich es dir. Pythagoras jedenfalls soll eine Vase mit Wasser gefüllt und mit einem Stock dagegengeschlagen
haben – so geht die Sage. Die Vase gab einen angenehmen Ton von sich. Wir würden das, was man da hörte, als Note bezeichnen.
Pythagoras experimentierte daraufhin mit den Wassermengen in der Vase, bis er zu folgender Beobachtung kam: Wenn er nach der
ersten Note genau die Hälfte des Wassers aus der Vase goss und wieder mit dem Stock dagegenschlug, passte die entstehende
Note ausgesprochen gut zu der ersten. Wenn er dann wieder die Hälfte des Wassers ausleerte, sodass nur noch ein Viertel der
ursprünglichen Menge in der Vase blieb, und wieder mit dem Stock dagegenschlug, klang auch diese Note sehr schön mit den anderen
beiden zusammen. Goss er zwei Drittel der ursprünglichen Wassermenge aus und behielt ein Drittel in der Vase zurück, ergab
auch das eine passende Note. Ließ er aber andere Wassermengen in der Vase, die nicht genau einer Bruchzahl der ursprünglichen
Menge entsprachen, so erhielt er eine
Dissonanz
, also eine falsch klingende Note. Und das ist die Grundlage der
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