PopCo
PopCo-Schriftzug quer über der Brust. Ich bleibe lieber bei meinen
eigenen Sachen. Nachdem ich mich ausgezogen habe, lege ich mein Handtuch an den Rand des Beckens und springe hinein. Wie gut
das tut! Erst eisig-eisigkalt, dann nach und nach Körpertemperatur. Nachdem ich zwei Bahnen geschwommen bin, fühle ich mich
fast wieder normal. Meine Haare werden nass, was nicht besonders gut ist, aber wahrscheinlich flechte ich sie einstweilen
sowieso nur noch zu Zöpfen, da spielt es keine Rolle, was damit passiert. Zwei Zöpfe, etwas Vaseline – das muss reichen. Ich
habe zwar den Verdacht, dass es so normal nicht sein kann, sich Vaseline ins Haar zu schmieren, aber ich weigere mich einfach,
für all diese buntverpackten, hippen Haarprodukte im Drogeriemarkt Geld auszugeben. Letztlich ist es doch alles nur Fett,
egal, wie es heißt. Es ist schon schlimm genug, dass ich Shampoo und Haarspülung speziell gegen krauses Haar kaufen muss.
Ich sitze auf dem Beckenrand und lasse die Füße ins Wasser baumeln, als ich Schritte näher kommen höre. Mein erster Gedankeist:
Ben
. Aber er ist es nicht. Es ist Georges. Was hat der denn hier verloren?
«Hallo, Alice», sagt er und kommt zu mir herüber.
«Georges», erwidere ich.
Er trägt knielange Shorts, ein dünnes Leinenhemd und sichtlich teure Sportsandalen. Die streift er jetzt ab, setzt sich neben
mich an den Beckenrand und lässt ebenfalls die Füße ins Wasser hängen.
«Ganz schön kalt», bemerkt er.
«Man gewöhnt sich schnell dran», sage ich. «Wie geht’s dir?»
«Mir? Ach, viel Stress, viel zu tun, du kennst das ja.»
Ich lache. «Ich bin kreativ, ich habe keinen Stress.»
Er lacht mit. «Und …?»
«Ja?»
«Wie findest du das alles hier? Dieses Projekt?»
«Ich weiß es nicht», antworte ich ehrlich. «Am besten fragst du mich das nächste Woche nochmal.»
«Wie ich höre, hat das laterale Denken nicht so ganz gezündet.»
«Es war schon okay», sage ich und frage ihn dann stirnrunzelnd: «Das wird jetzt aber hier keine Fokusgruppe, oder?»
«Was? Oh, nein. Tut mir leid. Ehrlich gesagt habe ich dich gesucht, weil …»
«Weil …?» Ich drehe mich zu ihm um und versuche dabei, aus meinen Augen alles zu löschen, was er darin lesen könnte. Georges wirkt
einfach auf mich, das wird sich auch nicht ändern. Ich sehe, wie dünn seine braungebrannten Beine in der kurzen Hose aussehen,
und plötzlich kann ich mir vorstellen, wie er als Kind gewesen sein muss. Aber dieser Mann ist die offizielle Verkörperung
aller PopCo-Kreativen. Er ist unser Chef, fast so fern wie der Mond. Als er mich küsst, erlaube ich mir fünf Sekunden lang,
ihn zu begehren, fünf Sekunden, dieich im Kopf abzähle, während seine Lippen auf meinen liegen und seine Hand ganz leicht auf meinem Arm. Dann mache ich mich
von ihm los und stehe auf.
«In einem anderen Leben», sage ich, bevor ich mich umdrehe. Dann setze ich noch hinzu: «Oder im Traum.» Aber das war wohl
nicht laut genug, dass er es hören kann.
Nach der Hitze draußen wirkt mein Zimmer kühl und fast staubig. Irgendwie gelingt es mir, hereinzukommen und mich aufs Bett
fallen zu lassen und erst dann die beiden Umschläge zu entdecken, die unter der Tür durchgeschoben wurden. Ich bleibe ein
paar Sekunden liegen, spüre das angenehm kühle Federbett am Rücken und bin unfähig, mich zu rühren, als wäre die Zeit stehen
geblieben. Dann rapple ich mich hoch und hebe die Umschläge auf.
Auf einem steht mein Name, auf dem anderen nichts. Ich öffne erst den, auf dem mein Name steht. Eine Nachricht von Georges:
Bin auf der Suche nach Dir, um Dir das hier zu geben
, steht darauf.
Falls ich Dich nicht finde (oder es vermassele), hast Du es jetzt trotzdem.
«Es» ist eine Visitenkarte, auf der nichts weiter steht als sein Name und seine Handynummer. Ich halte das dünne Kärtchen
in der Hand, während in meinem Kopf ein Film mit den schönsten Momenten eines anderen Lebens abläuft. Ich weiß nicht, wie
dieses Leben enden würde – ich weiß ja nicht einmal, wie es anfangen soll.
Der zweite Umschlag enthält, genau wie ich befürchtet habe, einen weiteren PopCo-Empfehlungszettel, diesmal mit folgenden
Buchstaben darauf: PFTACJVPRDN? Ich setze mich an den Schreibtisch und entschlüssele die Botschaft mit Hilfe der POPC O-Zeilen des Vigenère-Quadrats, die ich rasch auf ein Blatt Papier kritzele. Es ist kühl im Zimmer, doch mir ist plötzlich schrecklich
heiß. Während
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