Poppenspael
weiß
aber nur, dass er Peter Heuer heißt, und nickt ihm kurz zu.
Sie geht zügig den Erichsenweg hinunter zum Marktplatz. Die
Menschen auf der Straße sehen aus wie immer, gehen einkaufen,
essen Eis, lachen und reden miteinander, als wäre in der Stadt
nichts passiert, als wäre Ronja noch am Leben und könnte
dort drüben am Tine-Brunnen in der Sonne sitzen. Sie hat den
plötzlichen Impuls, sich mitten auf den Marktplatz zu stellen
und lauthals zu brüllen: »In dieser Stadt wurden heute
Nacht drei Frauen umgebracht!«, setzt ihn aber nicht in die
Tat um, sondern reiht sich ein in den Alltag eines
Dienstagnachmittags, eilt wie alle anderen über den Marktplatz
und biegt in die Krämerstraße. In Höhe der
Buchhandlung Delff hört sie eine zaghafte Stimme in ihrem
Rücken: »Frau Biehl! Hallo!« rufen, kann sie aber
nicht auf Anhieb einordnen. Die junge Frau dreht sich um und sieht
die jungenhafte, hochgewachsene Gestalt von Marcus
Bender.
»Herr
Bender«, flötet Susan Biehl freudig überrascht.
»Was machen Sie in der Stadt? Sie haben heute Abend doch eine
Vorstellung.«
»Lampenfieber,
glaube ich«, gesteht der Puppenspieler schüchtern,
»geh ein wenig spazieren, um den Kopf frei zu bekommen.
Außerdem kann ich nicht fassen, was da passiert ist. Es ist
alles so unglaublich, dieser Mord im Schlosspark und das mit Frau
Ahrendt, ich bin wie gelähmt!«
Susan sieht sofort
Ronjas Gesicht vor sich, und ihre Augen füllen sich mit
Tränen. Bender steht stocksteif vor ihr, ist unfähig, auf
ihren Gefühlsausbruch zu reagieren. Das Schweigen nimmt kein
Ende, er findet einfach keine Worte, fingert umständlich ein
Papiertaschentuch aus der Hosentasche und hält es ihr direkt
vor die Nase.
»Haben Sie Ronja
gestern Abend noch gesehen?«, schluchzt sie, ohne auf sein
Angebot zu reagieren.
»Nein, gestern
Abend nicht«, antwortet er hastig, und eine leichte Röte
zieht sich bis unter die aschblonden Haare. »Zum letzten Mal
haben wir uns in diesem Restaurant gesehen, am Samstag nach meiner
Vorstellung, da haben wir kurz miteinander gesprochen. Sie waren
doch auch dabei. Danach … danach hab ich sie nicht mehr
gesehen.«
»Oh, mir war so,
als wenn ich Sie gestern Abend gesehen hab, nach der Vorstellung
von ›Portugiesische Backalau‹.«
»›Portugiesische
Backalau‹?«, fragt Bender verlegen und schaut zu
Boden. »Ach ja, stimmt, da sind wir uns kurz über den
Weg gelaufen, daran hab ich nicht gedacht.«
»Ich war der
Meinung, Ronja und Sie, da würde sich was
anbahnen.«
»Wie kommen Sie
denn darauf, Frau Biehl? Frau Ahrendt und ich haben einen Kaffee
getrunken, aber … eigentlich … eigentlich wollte ich
den Kaffee mit Ihnen trinken. Vielleicht … können wir
das … wie wär’s, haben Sie gerade
Zeit?«
»Oh, Gott, nein!
Selbst wenn, hätte ich im Moment nicht die Energie dafür,
und ich muss jetzt sowieso ins Rathaus, um die
Nachmittagsvorstellung vorzubereiten, also, wir sehen
uns!«
»Schade! Bis
dann!«, druckst der Puppenspieler enttäuscht, doch Susan
Biehl ist bereits enteilt und verschwindet in einer Busladung
Touristen, die, über die Gasse verteilt, laut plappernd, durch
die Fußgängerzone marschiert. Das neue Rathaus steht im
grellen Sonnenlicht, und die Glasfront reflektiert einen kurzen,
grellen Lichtblitz in die Augen der Sekretärin. Sie muss ihre
Lider zusammenkneifen.
»Sie sind
bestimmt Frau Biehl, das nenn ich deutsche
Pünktlichkeit!«, schallt es ihr entgegen.
Ihr Blick ist noch
getrübt, sie erahnt nur den Umriss einer Gestalt und geht
vertrauensvoll darauf zu.
»Herr Dirkmann,
Sie wissen doch auch ohne mich, wo ’s langgeht«,
frotzelt sie, nimmt den Mann ins Schlepptau, führt ihn
über den Behördenflur bis vor die Saaltür und
schließt auf. Der Puppenspieler trägt seine beiden
Koffer bis vor die Bühne, die am Vortag bereits aufgebaut
worden ist.
»Wussten Sie,
dass man früher noch alle Marionetten für die jeweilige
Rolle umgezogen und sogar umgeschminkt hat?«, fragt der
glatzköpfige Mann mit dem rundlichen Gesicht, während er
seine Puppen vorsichtig aus den Koffern hebt. »Heute sind das
alles Unikate. Ich lasse sie extra für ihre Rolle von einem
Figurenschnitzer anfertigen. Gucken Sie sich zum Beispiel hier
meinen Feuerspucker an, eine Trickmarionette mit ganz besonderen
Fähigkeiten. Dafür wurde sogar ein spezielles Spielkreuz
entwickelt.«
Dirkmann führt
die Marionette behände mitten auf die Bühne, lässt
ihren Holzkiefer mit Schwung
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