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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Leute in den Schmutz zu
ziehen.
    Das Klingeln seines
Telefons reißt Rudolf Jacobsen aus seinen Gedanken. Dankbar
für die Unterbrechung, greift er nach dem
Hörer.
    »Polizeiinspektion Husum,
Jacobsen!«
    »Paul Richter
hier. Lauf grad Streife in der Innenstadt. Deine Penner, nach denen
du gefragt hast, versammeln sich gerade wieder vor der
öffentlichen Toilette im Schlossgang. Ich halt sie so lange
fest, bis du da bist.«
    »Ich bin gleich
da!«, versichert Jacobsen, froh, den Schreibtisch räumen
zu können. Nichts wie weg, denkt er, zieht seine Jacke an und
verlässt in bester Stimmung die Inspektion. Der Himmel ist
makellos blau, die Sonne wärmt seinen Rücken. Fast
beschwingt macht er sich in Richtung Innenstadt auf, fühlt
sich wie Superman persönlich, der Superpolizist, der allein
gegen die Großstadtkriminalität antritt.
    Der Comic-Held ist das
Idol seiner Jugend gewesen, er hatte die Hefte mühevoll vom
Taschengeld finanziert und beim Lesen von übermenschlichen
Kräften geträumt. Die Leidenschaft für Superman
hatte ihn sogar zum Boxsport gebracht, doch er musste schnell
einsehen, dass die ersehnten Kräfte nicht in ihm schlummerten.
Später war die Jugendschwärmerei zu seinem Hobby
geworden, und bis heute sammelt er alle Superman-Comic-Hefte, die
er bekommen kann. Das lässt er sich einiges kosten. Für
die ersten drei Hefte, die im November 1966 in Deutschland
erschienen waren, hat er vor einigen Jahren 400 DM bezahlt. Eine
gute Anlage, für das gleiche Heft müsste man heute bis zu
800 hinblättern.
    Die meisten Menschen
haben keine richtigen Vorbilder mehr, stellt Jacobsen fest und
findet es im Grunde auch eine Zumutung, dass Colditz ihn auf diese
Penner angesetzt hat. Die sehen alle gleich aus, diese Typen, es
schert sie einen Dreck, an urinstinkenden Häuserecken
herumzulungern, Hauptsache, einen Flachmann in der Hand. Und alles
finanziert von meinen Steuergeldern. Kurzen Prozess, sag ich immer,
ab ins Arbeitslager mit denen, damit sie die einfachsten Werte und
Tugenden lernen.
    Jacobsen
überquert den Marktplatz und geht durch den Torbogen des alten
Rathauses in den Schlossgang. Kollege Richter steht vor einer
Gruppe von fünf Männern und lässt sich gerade die
Personalausweise zeigen.
    »Herrgott,
Rudolf, höchste Zeit, dass du endlich kommst!«, ruft er
Jacobsen von Weitem zu. »Da hüte ich lieber einen Sack
Flöhe, das kannst du mir
glauben!«    
    »Was soll denn
das hier werden?«, zischt es dem Oberkommissar entgegen, als
der seinen Dienstausweis hochhält.
    »Klappe!«,
schnauzt Jacobsen die Männer an. »Kennt einer von euch
jemanden, der regelmäßig im Schlosspark
übernachtet?«
    Die Männer gucken
einer nach dem anderen zu Boden, und ein beklemmendes Schweigen
entsteht.
    »Es geht hier
nicht um irgendein Pillepalle!«, bellt der Oberkommissar.
»Es geht um einen Mordfall!«
    »Mord? Mit Mord
hat keiner von uns was zu tun, Herr Kriminal!«
    »Genau!«,
stimmen die anderen eilig mit ein.
    »Ruhe, Leute!
Das kenn ich schon, ihr habt grundsätzlich nie eine Ahnung.
Macht den Mund auf, sonst werde ich bei Gott dafür sorgen,
dass ihr in dieser Stadt keine ruhige Minute mehr
habt!«
    Die Männer
drängen sich verschüchtert zusammen. Jacobsen zögert
keinen Moment, tritt blitzschnell vor und zieht einen der
Männer aus der Gruppe heraus.
    »Du redest
jetzt, oder wir unterhalten uns auf dem Revier!«
    Der Mann nimmt
schützend die Hände vors Gesicht, doch die erwarteten
Schläge bleiben aus. »Harald hat mal so was fallen
lassen«, sagt er mit kaum hörbarer Stimme.
    »Wer ist
Harald?«
    »Harald Timm,
ein Kumpel, ist ab und zu hier.«
    »Und was hat er
erzählt?«
    »Das mit dem
Schlosspark, dass es dort einen guten Platz gibt.«
    »Und wo
hängt der rum, dieser Harald …?«
    »Hab ihn vorhin
vor der Post gesehn.«
    »Vor der
Post?«
    »Ja, da sitzt er
meistens, wenn er schnorrt.«
    Rudolf Jacobsen
lässt den Mann los und gibt ihm einen Stoß, sodass er
nach hinten stolpert. Mit einer Handbewegung signalisiert er dem
Streifenbeamten, dass die Sache hier jetzt erledigt ist, tippt kurz
mit dem Finger gegen die Stirn, marschiert durch den Torbogen zum
Marktplatz zurück und eilt an den weißen Bänken der
Schwan-Apotheke vorbei, auf denen eine Handvoll Rentner in der
Sonne sitzt. Gleich hinter dem Waffel-Kiosk bei Karstadt sieht der
Oberkommissar einen Bettler am Boden hocken. Das rechte Auge des
Mannes ist angeschwollen und wird von einem dunkelblauen
Hämatom umrandet. Jacobsen

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