Poppenspael
Gehacktes mit Haselnüssen vermengt,
Zimt und Curry angebraten, mit Tomatensaft abgelöscht, alles
mit gekochten Nudeln in eine Auflaufform gegeben und mit Käse
überbacken.
Der trockene Ciclos
wurde von ihr eigens in eine Glaskaraffe umgefüllt, weil
Michael ihr unentwegt in den Ohren liegt, Wein müsse atmen
können. Doch wer hatte sie letztendlich mit dem ganzen Kram
sitzen gelassen? Michael Keck! Erst zwei Stunden über der Zeit
kam sein obligatorischer Anruf. Seine Frau habe unverhofft den
Kinoabend mit ihrer Freundin abgesagt, er könne auch nicht
länger mit ihr reden und würde sich wieder
melden.
»Hey, Ronja, du
bist dran! Aufwachen! Erst geht dir alles nicht schnell genug und
jetzt verpasst du deinen Einsatz«, bringt Nicoles
herablassende Stimme sie in den Raum zurück.
»Schon gut,
schon gut! Also, Herr Pauli ist konstant mit seinem Druck,
Kontrolle wie immer; bei Herrn Zetlach ist erneut das Antibiotikum
gewechselt worden, er hat immer noch Temperatur, und Herr Wulf ist
Herr Wulf, da gibt’s wie immer nichts Neues«, spult sie
ihren Text herunter und wirft einen vernichtenden Blick zu Nicole
hinüber.
»Das war
rekordverdächtig, jetzt darf die nächste Schicht getrost
übernehmen«, hört Ronja Hellwig flachsen,
während sie schon in Richtung Umkleideraum aus der Tür
eilt.
20 Minuten später
verlässt die Krankenschwester das Husumer Kreiskrankenhaus
durch den Hinterausgang. Das Licht der Nachmittagssonne fällt
in die mickrige Parkanlage. Patienten sitzen, jeder für sich,
verstreut auf den Holzbänken und rauchen. Mittendrin steht
eine kleine Bronzeskulptur, die in groben Umrissen das Abbild eines
Mannes in Regenzeug und mit Südwester zeigt. Er stemmt sich,
nach vorn gebeugt, gegen den Sturm. Als Ronja darauf zugeht,
bläst ein kräftiger Windstoß eine leere
Einkaufstüte durch die Luft, die am Kopf der Skulptur kleben
bleibt.
Kunst und Husumer
Wetter, denkt die Krankenschwester grinsend und erinnert sich, dass
der Künstler am Sockel ein Schild mit der Aufschrift
›Sturm‹ angebracht hat.
Es braucht nur wenige
Schritte über die schmale Straße. Dort nimmt sie einen
Schleichweg durch die Büsche und ist schon auf dem Sandweg im
Husumer Schlosspark.
Ronja Ahrendt hat noch
105 Stunden zu leben.
Sie fühlt sich
völlig aufgekratzt. In zwei Minuten hat sie das
Sandsteinportal auf der anderen Seite der Anlage erreicht. Sie
passiert das offene Eisentor und erreicht die
Kopfsteinstraße, die links hinauf zum Schlosshof führt.
Der Bürgersteig ist übersät mit Eicheln. Bei jedem
Schritt zerbersten sie knackend unter ihren Schuhsohlen. Die
Schlossfront liegt im prallen Sonnenlicht.
Für Ronja Ahrendt
ist es eindeutig das schönste Bauwerk in ganz Husum. Soweit
sie sich noch auf ihren Heimatkundeunterricht verlassen kann,
dürfte das Schloss gerade in diesem Jahr 425 Jahre alt
geworden sein.
Bauherr ist meines
Wissens Herzog Adolf, ruft sie ihr altes Schulwissen ab. Der erbte
mit 18 Jahren die Stammherzogtümer Schleswig und Holstein von
Vater König Friedrich dem I. von Dänemark. Erst 33 Jahre
später, 1577, errichtete er das ehemalige
Renaissancegebäude und nutzte es später als Wohnsitz. Im
18. Jahrhundert wurde das Schloss im Barockstil umgestaltet und in
den letzten Jahrzehnten mehrmals restauriert. Immer noch ein
Prachtbau. Dazu das einzige Zeugnis fürstlicher Kultur an der
gesamten Westküste.
Die Krankenschwester
geht schnurstracks über den Innenhof. Direkt vor dem
viereckigen Hauptturm mit dem doppelzwiebelförmigen Turmhelm
steht ein geparkter Mercedes-Kleinbus. Die weiße Lackierung
ist mit unzähligen Rostflecken überzogen, sodass einige
der blauen Buchstaben der Seiteninschrift bereits abgeblättert
sind. ›Seelenfaden-Puppentheater Karlsruhe‹,
entziffert die Krankenschwester mit einiger Mühe. Die
Schiebetür ist geöffnet. Im Inneren des Wagens ist
niemand.
Sie betritt das
Gebäude und steigt wenig später die alten Treppen zur
oberen Etage hinauf. Der geräumige obere Treppenabsatz dient
als Vorraum zum Rittersaal. Rechts an der Wand hängt ein alter
Ölschinken, der die Schlacht um Troja zeigt. Ein Holzkeil
steckt unter der offenen Saaltür. Sie guckt in den Raum. Im
Scheinwerferlicht bauen zwei Männer auf einer erhöhten
Bühne ein dunkles Arbeitszimmer in Miniaturgröße
auf.
Morgen Abend soll dort
die Eröffnungsvorstellung ›Bulemanns Haus‹ von
Theodor Storm stattfinden. Ronja hat sich auf leisen Sohlen in den
Schatten der grellen
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