Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
Vom Netzwerk:
einer
Kopfbewegung auf seinen Begleiter. »Mein Begleiter versteht
bei unerledigten Problemen keinen Spaß. Für die
betreffende Person kann das sehr schmerzhaft
werden.«    

    *
    Schweißperlen
sind der Schmuck der Puppenspieler, beruhigt er sich, als die
Lichter ausgehen und es im Raum mucksmäuschenstill wird.
Marcus Bender wischt kurz über seine Stirn, steht bewegungslos
hinter der Bühne und hält trotz Dunkelheit die Augen
geschlossen. Die Scheinwerfer, die auf die Bühne gerichtet
sind, flammen auf. Er spürt sein Herz, das bis zum Hals
schlägt, und seine Muskeln spannen sich an. Augen auf,
Auftritt! Kurzer Beifall kommt auf und verebbt wieder. Eine
verschwommene Menge starrt zu ihm hinauf. Er tritt aus dem Schatten
ins Licht, hält seine Klappmaul-Puppe über den
Bühnenrand und bringt sie mit der Hand zum
Sprechen.
    »Darf ich mich
kurz vorstellen? Mein Name ist Schrödinger, Erwin
Schrödinger. Ich bin Physiker!«
    Der erste Schritt ist
getan, beruhigt er sich. Die Materie lebt durch den
Geist.
    Sein Lampenfieber ist
wie weggeblasen, er fühlt sich in einen Rausch versetzt,
wirbelt über die Bühne, steuert seine Puppe souverän
durch den Eröffnungsdialog, als würde er selbst von etwas
Übergeordnetem geführt und hinge am Faden einer
höheren Macht.
    »Lassen Sie sich
bitte nicht täuschen, meine Damen und Herren, ich führe
Sie heute in einen Mikrokosmos der realen Wirklichkeit, der
Wirklichkeit der atomaren Teilchen. Auf dieser Bühne werden
die Dinge winzigklein werden, noch viel winziger, als sie hier
ohnehin schon sind. Wenn Sie sich vorstellen, dass dieser Raum mit
all seinen Aktivitäten im Vergleich zum Universum nur ein
Sandkorn ist, ahnen Sie, wovon ich spreche.«
    Marcus Bender
lässt seine Puppe beobachten, wie er, der Puppenspieler, zum
Publikum spricht. Sein Partner trägt aus der Bühnenecke
ein großes Stück Pappe herbei, auf der eine
überdimensionale Fünf-Schilling-Sonderbriefmarke
abgebildet ist, die das Konterfei von Erwin Schrödinger
zeigt.
    »Die Briefmarke
wurde am 11. August 1987 in Österreich zum 100. Geburtstag von
Erwin Schrödinger herausgegeben.«
    Bender lässt
seine Puppe neugierig ihr Ebenbild betrachten und freudig mit der
rechten Hand auf sich selbst deuten.
    »Um die
Größe eines einzelnen Atoms zu begreifen«,
lässt Bender jetzt seine Puppe dem Publikum erklären,
»müssen Sie sich vorstellen, dass man 10 Millionen Atome
aneinanderreihen muss, um den Abstand zwischen zwei
Briefmarkenzacken zu überwinden, und das gilt für eine
Briefmarke in Originalgröße.«
    Ich glaub, nun hab ich
die Leute neugierig gemacht, sagt seine innere Stimme
überzeugt. Jetzt kommt der Moment, ob sie mir auch weiter
folgen werden.
    »Wer ein Atom
beobachtet, empfängt ein Licht von ihm«, erklärt er
nun erneut als Person des Puppenspielers. »Jede Beobachtung
verändert dieses Atom. Es springt dabei aus einem Zustand
hoher Energie in einen Zustand niedriger Energie, ohne dass es
einen Zwischenzustand gibt. Das ist ein so genannter Quantensprung.
Eine Eigenschaft, die uns Menschen irgendwie vertraut vorkommt,
denn wir verhalten uns in vielen Fällen wie ein Atom. Wenn wir
uns beobachtet fühlen, verhalten wir uns anders, als wenn
niemand guckt. Die Atome verhalten sich aber noch viel
verrückter. Sie zeigen nur eine feste Eigenschaft, solange sie
beobachtet werden, sonst bleiben sie einfach
unbestimmt.«
    »Das ist
unglaubwürdiges Kauderwelsch!«, lässt er seine
Schrödinger-Puppe zornig dazwischenfahren. »So
wirklichkeitsfremd kann ein Wissenschaftler nicht mit dieser Welt
umgehen. Der Mond verschwindet doch nicht, wenn wir aufhören,
zu ihm hinaufzuschauen.«
    Bender liebt seine
Schrödinger-Puppe und hat ihre Rolle als die eines besessenen
Wissenschaftlers angelegt. Ein totes, knautschiges Stück Stoff
soll den versponnenen Nobelpreisträger erneut zum Leben
erwecken, dem diese elende Quantenspringerei seinerzeit so absurd
vorkam, dass er aus Rache eine Höllenmaschine ersann, die den
ganzen Unsinn widerlegen sollte. Die Katze im Kasten,
Schrödingers Katze.
    Manchmal handelt die
Puppe in seiner Hand autonomer als er selbst, ihr Spieler. Es
scheint, als könne sie ihm, ihrem Gehirn, die Bewegungen
aufzwingen. Dabei hat der Spieler sie doch voll im Griff,
drückt ihr seinen Daumen von innen aufs Kinn, führt den
Mittelfinger in der Zunge und dreht mit den restlichen Fingern die
obere Kopfpartie. In ihm steckt ein Rest Verunsicherung, diese
Puppe könne ihn kurzerhand an

Weitere Kostenlose Bücher