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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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weht schwach von Nordwesten
herein, treibt einzelne weiße Kumuluswolken quer über
den Außenhafen. Ketelsen beobachtet missmutig ihre Schatten,
die ab und zu wie Zeppeline die Wände der Siloanlagen
hinaufschweben. Eigentlich wäre sein Urlaub bis Montag
gegangen, aber der jüngere der beiden Chefs, Dieter Asmussen,
hatte ihn bereits am Freitagmittag angerufen und angedeutet, dass
es ein schwerwiegendes Problem mit der russischen Firma in Lettland
gibt. Seinen Hinweis auf einen stattgefundenen Einbruch in sein
Haus ließ der Chef, ohne sonderlich beeindruckt zu sein, von
sich abprallen.    
    »Du bist der
Einzige in der Firma, der Russisch sprechen kann, Herbert«,
hatte er gemeint, nachdem er nach knappen Betroffenheitsfloskeln
»Das ist ja furchtbar« und »Das Leben geht
weiter« ohne veränderte Tonlage fortgefahren war.
»Es ist unbedingt nötig, dass du am Samstag im Hafen vor
Ort bist! Und halt die Ohren offen! Wer weiß, vielleicht
kannst du rauskriegen, was an Bord gesprochen
wird.«
    Russisch hatte Herbert
Ketelsen zu DDR-Zeiten an der Schule in Aschersleben gelernt. In
der ältesten Stadt in Sachsen-Anhalt war er 1943 geboren
worden. Der Vater, Landwirtschaftsfunktionär Gerd Ketelsen,
ebnete ihm mit seinen Beziehungen eine der Vorzeigekarrieren im
Arbeiter- und Bauernstaat. Er lernte Melker, wurde Grenzsoldat und
arbeitete danach wieder in der Landwirtschaft. Als frühes
Mitglied in der Partei machte man ihn 1972 zum Produktionsleiter
der LPG ›Florian Geyer‹. Dort arbeitete er
unauffällig bis zum historischen 9. November 1989, dem
Mauerfall. Noch am selben Abend war er mit seiner Frau im Trabbi
nach Berlin gefahren und für immer im Westen geblieben. Sie
beide haben es bis heute nicht bereut.
    »Was gibt es
für ein Problem?«, hatte er Dieter Asmussen gefragt.
»Geht es um diese Ungereimtheiten, die unserer
Steuerberaterin aufgefallen sind? Ich hab dir doch hoch und heilig
versprochen, dass ich es gleich nach dem Urlaub persönlich mit
der Ørsted regeln werde!«
    »Schon!
Dummerweise könnte das aber schon zu spät sein. Mir ist
da ein blöder Fehler unterlaufen«, antwortete der Chef.
»Vorige Woche gab es ein Telefongespräch mit der Firma
Argroprom. Da habe ich mich gegenüber Ivan Micolaesky
verplappert, und der fand die Sache überhaupt nicht witzig. Er
drohte mir, wenn ich mich nicht auf der Stelle um die Frau
kümmern würde, könnte das auch ein Mitarbeiter von
Argroprom übernehmen, und wir würden bald unangenehmen
Besuch aus Riga erhalten.«
    »Ich hab dich
gewarnt, dass diese Geschäfte auf die Dauer nicht reibungslos
ablaufen werden! Es war nur eine Frage der Zeit, dass die gute Frau
mit der Nase darauf stößt.«
    »Panik bringt
uns auch nicht mehr weiter, Herbert! Ich hab die Ørsted
gleich angerufen und der Frau mächtig ins Gewissen geredet,
sie solle alles noch einmal ausführlich überdenken, die
Nacht drüber schlafen und mit ein wenig Professionalität
Ordnung in die Unterlagen bringen. Die gute Frau zeigte sich leider
ziemlich verstockt. Sie bräuchte nicht nachzudenken, sagte
sie, ihr würden grundsätzlich keine Fehler unterlaufen.
Noch wäre Zeit für eine totale Offenheit und sie rate
unserer Firma dringend zu einer Selbstanzeige, sonst würde sie
ihr Mandat
zurückziehen.«    
    Dieter Asmussen hatte
tief durchgeatmet, einen längeren Moment geschwiegen und war
völlig sachlich fortgefahren: »Ja, das ist der momentane
Stand der Dinge. Du kannst den Kopf nicht in den Sand stecken,
egal, wie es bei dir zu Hause aussieht. Ich erwarte, dass du am
Hafen bist, wenn der Frachter ankommt. Wenn an Bord alles normal
abläuft, haben wir erst mal Luft, bis das nächste Schiff
kommt. Dann können wir in Ruhe überlegen, wie wir den
Scheiß gemeinsam aus der Welt schaffen.«
    Das schrille Kreischen
eines Vogels holt Herbert Ketelsen aus seinen Gedanken. Die
Lachmöwe hat sich direkt neben ihm auf einem der Eisenpoller
niedergelassen und verteidigt ihr Revier mit gewölbter Brust
und ausgebreiteten Flügeln gegen einen heranschwebenden
Rivalen. Sein Unmut verfliegt, als in der Ferne der erwartete
Frachter in Sicht kommt. Der Rumpf liegt auffällig tief und
schiebt die schäumende Bugsee vor sich her. Wie auf ein
heimliches Kommando füllt sich die Kaianlage mit Leben. Ein
nagelneuer 40-Tonner dröhnt vorbei, steuert den nächsten
Saugheber an, der einer Krananlage mit Rüssel gleicht, und
stoppt mit einem lauten Zischen der Luftdruckbremse. Danach biegt
ein grüner VW T4 vom

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