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Poppenspael

Poppenspael

Titel: Poppenspael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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das Elektron nach der
Quantenphysik im selben Moment in eine Wahrscheinlichkeitswelle.
Die Katze kommt dadurch in einen Zustand, in dem sie gleichzeitig
tot und lebendig ist, oder weder tot noch lebendig. Und unsere
Katze bleibt in diesem ewigen Schwebezustand, solange niemand in
die Kiste schaut.«
    »Ja, meine Damen
und Herren«, fährt der Zauberer dazwischen. »Die
Frage aller Fragen, die sich uns stellt, lautet, wo ziehen wir die
Grenze zwischen der winzigen Welt der Quantenwahrscheinlichkeiten
und unserer vermeintlichen, doch so vertrauten Realität. Wie
viele Elektronen braucht ein System, bevor es wirklich wird, seine
Wellenfunktion zusammenbricht und zur sichtbaren Materie
wird?«
    Marcus Bender sieht im
Augenwinkel, wie der erste Zuschauer aus dem Saal schleicht.
Vorsichtig folgen ihm andere nach. Wahrscheinlich hab ich die
lieben Leute doch zu sehr überfordert, denkt Bender
enttäuscht und ihm wird plötzlich bewusst, dass der
kleine Erfolg, den er mit seiner Puppenwelt anstrebt, sich genauso
wie eine Wahrscheinlichkeitswelle verhält: Wenn die Beobachter
sein Stück nicht anschauen wollen, bleibt auch der Erfolg nur
in einem Schwebezustand.

5
    »Nun begann er
Bitten und Versprechungen durcheinander zu wispern;
allmählich, während die Gestalt des unten gehenden Mannes
sich immer mehr entfernte, wurde sein Flüstern zu einem
erstickten heisern Gekrächze: Er wollte seine Schätze mit
ihm teilen; wenn er nur hören wollte, er sollte alles haben,
er selber wollte nichts, gar nichts für sich
behalten.«
    Die Sonne ist vor
Kurzem untergegangen. Das Lesen im Flackerlicht der Kerze
fällt Anna Diete allmählich schwer. Sie spreizt das
aufgeschlagene Taschenbuch zwischen Mittel- und Zeigefinger, greift
zum bereitgelegten Bleistift und unterstreicht die letzten
Sätze. Jan Swensen liegt etwas entfernt im Liegestuhl. Dem
gleichmäßigen Atmen nach zu urteilen, ist er
eingedöst. Die Psychologin nimmt das Buch wieder zur Hand und
liest den Rest der Geschichte:
    »Von allen
Worten, die Herr Bulemann in jener Nacht gesprochen, ist keines von
einer Menschenseele gehört worden. Endlich nach aller
vergeblicher Anstrengung, kauerte sich die kleine Gestalt auf dem
Polsterstuhle zusammen, rückte die Zipfelmütze zurecht
und schaute, unverständliche Worte murmelnd, in den leeren
Nachthimmel hinauf. So sitzt er noch jetzt und erwartet die
Barmherzigkeit Gottes. Ende.«
    Anna klappt das Buch
zu und schaut auf. Direkt in ihrem Blickfeld steht der Vollmond. Es
sieht aus, als hätte er ein weißes Loch in den
Sternenhimmel gestanzt.
    Der Anruf von Karsten
Bonsteeds und das Angebot, einen Vortrag auf dem nächsten
Storm-Symposium zu halten, hatte sie den ganzen Tag über
beschäftigt. Gleich am Nachmittag, als sie von ihrem Ausflug
aus St. Peter zurück waren, hatte sie sich über die
Märchen von Theodor Strom hergemacht, wobei ›Bulemanns
Haus‹ sie vom ersten Abschnitt an fesselte. Sie musste die
wenigen Seiten in einem Rutsch durchlesen.
    Eine wirklich skurrile
Figur, dieser Herr Bulemann, denkt sie, lässt die Geschichte
Revue passieren und grübelt über eine psychologische
Deutung nach. Ein stinkreicher Geizhals, ohne soziale Kontakte,
lebt nur mit seiner Haushälterin in einem heruntergekommenen
Haus. Selbst der eigenen Schwester und ihrem kranken Sohn
verweigert er jegliche Hilfe. Neben den Kisten, voll mit
Silbermünzen, schrumpft er im Laufe der Zeit zu einem Zwerg,
der nicht sterben kann, während seine beiden Katzen Schnores
und Graps zu monströsen Ungeheuern mutieren.
    In den Namen der
Katzen entdeckt sie einen brauchbaren Hinweis. Schnores steht
bestimmt für schnorren und Graps für grapschen, eine
Metapher dafür, skrupellos Geld zusammenzuraffen. Ein Satz
kommt ihr in den Kopf, den sie aber keiner konkreten Person
zuordnen kann: Geld ist so tief und weit wie der Ozean. Klingt nach
einer Beschreibung des Unbewussten. Geld regiert die Welt! Geld ist
der Joker im Spiel des Lebens! Über Geld redet man nicht, man
hat es oder man hat es nicht!
    Vom Kollegen Sigmund
Freud fällt ihr ein, dass er Geld einmal mit Exkrementen
verglichen haben soll. Für den Begründer der
Psychoanalyse war das Hergeben ein Ausdruck der Kotverwaltung, der
Ringmuskel sozusagen als Parallele zum zugeschnürten
Geldbeutel. Selbst Goethe soll gesagt haben, ein gesunder Mensch
ohne Geld ist halb krank. Und im Volksmund heißt es, Geld ist
erstarrtes Begehren, und die Profitgier ist die älteste
Religion der Welt, sie hat die besten

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