Poppenspael
Pfaffen und die
schönsten Kirchen. Urplötzlich steht ihr der Titel ihres
Vortrags vor Augen: ›Die Gier nach Geld‹ –
Storms Märchen im Spiegel des kollektiven
Unbewussten.
»Hey, es ist ja
schon dunkel!«, hört sie die Stimme von Jan, der etwas
schwerfällig aus dem Liegestuhl krabbelt und sich
genüsslich streckt. »Wie spät ist es
eigentlich?«
Anna schaut auf die
Armbanduhr. »Gleich 9 Uhr!«
»Du lässt
mich hier glatt verpennen, dabei ist doch Essenszeit. Auf ins
Dante, Schatz!«
»Meinetwegen
sofort, Jan, aber vorher noch eine Frage: Gibt es im Buddhismus
irgendwas mit Katzen?«
»Katzen? Wieso
fragst du?«
»Der Vortrag
für die Storm-Gesellschaft. In einem von seinen Märchen
kommen zwei Katzen vor, die zu ausgewachsenen Raubkatzen
heranwachsen. Dazu kam mir die Idee, mich um das Bild der Katze in
den verschiedenen Mythologien der Welt zu
kümmern.«
»Buddhismus und
Katzen?«, sinniert Swensen. »Also, ich kenn nur die
Geschichte von einem Zen-Meister, der sich jeden Abend während
der Meditation von der Klosterkatze gestört fühlte.
Deshalb ließ er sie vorsorglich vor jeder Abendmeditation von
den Mönchen anbinden. Lange nach dem Tod des Zen-Meisters
wurde die Katze von seinen Schülern noch immer angebunden. Als
auch die Katze verstarb, wurde eine andere Katze angeschafft und
ordnungsgemäß vor der Abendmeditation angebunden.
Jahrzehnte später gab es im Kloster unzählige
Abhandlungen über das Anbinden von Katzen während der
Abendmeditation.«
»Eine herrliche
Geschichte«, meint Anna grinsend, »aber leider nicht
das, wonach ich suche. Mir geht es mehr um die Symbolik dieser
Tiere, dass Katzen zum Beispiel für Fruchtbarkeit stehen, wie
im alten Ägypten, oder dass ihnen geheime Kräfte
nachgesagt werden. Dass schwarze Katzen im Mittelalter mit Hexen in
Verbindung gebracht und sie während der Hexenverfolgung sogar
lebendig verbrannt wurden.«
»Von Katzen habe
ich keine Ahnung, im Buddhismus wird nur danach gefragt, ob ein
Hund die Buddhanatur besitzen kann«, entgegnet Swensen und
drängelt, sich doch endlich auf den Weg zum Abendessen zu
machen. Sie nehmen Annas neuen Clio und fahren die kürzere
Strecke über Simonsberg. Die Nacht ist mild und klar. Leichter
Bodennebel treibt über den Asphalt, und das Scheinwerferlicht
leckt über die Baumstämme am Straßenrand. Der ewige
Sturm im Norden, der meistens aus Westen bläst, hat sie alle
leicht nach Osten geneigt. Ab und zu unterbricht eine milchige
Nebelwand für einen kurzen Moment die Sicht.
»Das gestern
Abend in Heide, nach der Ausstellung«, unterbricht Anna das
längere Schweigen, »ich glaub, ich hab das nicht
verstanden mit dieser merkwürdigen Visualisierung. Was dieser
Lehrer dort angeleitet hat, habt ihr das auch in der Schweiz im
Tempel gemacht?«
»Am Anfang
schon«, erklärt Swensen. »Der Meister nannte das
Shamatha-Meditation, eine objektgebundene Meditation, dabei soll
der Schüler die Gestalt einer Gottheit visualisieren, um sich
in der Meditation darauf zu konzentrieren. Aber die meisten der
Schüler kamen mit diesen tibetischen Göttergestalten
nicht zurecht. Die Schüler waren alle rein westlich
geprägt, damals in der Schweiz, da wusste kaum einer, wie der
Buddha des Mitgefühls aussehen könnte, also dieser
Chenrezig, den wir gestern visualisieren
sollten.«
»Genauso ging es
mir auch«, bestätigt Anna erleichtert, »von einem
Chenrezig war, trotz der Anleitung, bei mir nichts zu
sehen.«
»Da warst du
bestimmt nicht die Einzige. Ich kann mir bis heute keinen dieser
tibetischen Götter richtig vorstellen. Jedenfalls, als Meister
Rinpoche auf unser Unvermögen aufmerksam wurde, wählte er
für uns den Atem als Objekt. Wir sollten genau registrieren,
wie der Atem tatsächlich in die Lungen einströmt und wann
er über die Nasenlöcher wieder ausströmt. Er sagte
uns, es ist völlig egal, welches Objekt uns dient, um Shamatha
zu entwickeln, wir meditieren in jedem Fall mit unserem Geist, und
dieser Geist hat sowieso nichts mit dem Objekt zu tun, das wir
ausgewählt haben. Die tägliche Übung bestand darin,
den Geist in seiner eigenen Natur ruhen zu lassen, also alles
Denken und Fühlen lediglich als Ausdruck seiner Natur zu
begreifen. Denken und Fühlen haben kein reales Dasein,
unterwies uns Meister Rinpoche immer wieder, Denken und Fühlen
existieren nicht unabhängig vom Geist, der nicht als ein Etwas
beschrieben werden kann. Die Natur des Geistes ist
Leere.«
»Die Natur
meines
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