Poppenspael
Magens ist augenblicklich auch Leere, Meister
Swensen.«
»Das ist nur die
Gier, die dich an das Samsāra fesseln will.«
»Samsāra?
Was war noch gleich …?«
»Der Kreislauf
des Daseins, in dem wir uns gerade befinden. Das Anhaften an das
Begehren, oder deutlicher gesagt: Wenn ein Hund Leber sieht,
zaudert er nicht – er verschlingt sie.«
»Mich
interessieren zurzeit nur Katzen, mein Geliebter!«
Der Renault Clio von
Anna erreicht den Stadtrand von Husum. Links ziehen die
Getreidesilos vorbei, die dank der diffusen Beleuchtung im
Außenhafen wie kauernde Riesen aussehen. Sie passieren die
Husumer Polizeiinspektion. Swensen registriert das Licht auf seinem
Stockwerk. Jacobsen hat Bereitschaft, denkt er, während Anna
nach links in die Herzog-Adolf-Straße abbiegt. In Höhe
der Ludwig-Nissen-Straße steuert sie einen freien Parkplatz
an. Den Rest bis zum Dante gehen sie zu
Fuß.
*
»Einmal die
gebratenen Kürbisblüten?«, fragt der Chef vom Dante
und blickt in die Runde. Susan Biehl hebt den Arm und bekommt den
Teller serviert. »Uno fiori di zucca fritti, prego
Signora!«
Ein feiner Geruch von
Amaretto strömt der Sekretärin entgegen. »Grazie
mille«, sagt sie. Vielen Dank ist das Einzige, was sie auf
Italienisch kennt. Die Füllung aus mildem Schafskäse und
Maronenbrei zergeht auf der Zunge, trotzdem schluckt sie den Bissen
wie einen Fremdkörper. Sie ist mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit
bei ihrer Freundin, die sie in der letzten halben Stunde nicht aus
den Augen gelassen hat. Je länger sie Ronja beobachtet, desto
mehr spürt sie einen tief sitzenden Groll in sich
aufsteigen.
Dabei gibt es
überhaupt keinen Grund, auf sie sauer zu sein, mahnt ihre
innere Stimme. Schließlich kann sie doch machen, was sie
will.
Doch die Worte prallen
an ihrem Anspruch ab. Ihr Hals schnürt sich zusammen, und
kleine rote Flecken bilden sich neben den Ohren. Auf der Schulter
kauert ein boshafter Gnom, der ihre Freundin von oben herab
beurteilt.
Es ist schon mehr als
dreist, was die Frau da in aller Öffentlichkeit abzieht,
stichelt er. Der verheiratete Oberarzt ist ihr nicht genug, ohne
mit der Wimper zu zucken, beginnt sie ein
Tête-à-Tête mit diesem Peter Pohlenz. Und jetzt,
gleich nachdem wir hier im Dante ankamen, drängelt sie sich
mit aller Energie an die Seite von Marcus Bender. Möchte nur
wissen, welcher Teufel sie nun schon wieder reitet.
Susan Biehl
verspürt den Drang, einfach aufzustehen und zwischen den
beiden Platz zu nehmen, traut sich aber nicht. Was sollte sie auch
sagen, wenn sie es wirklich in die Tat umsetzen würde. Sie ist
wahrlich nicht der Typ, locker drauflos zu flirten.
»Pass bloß
auf, wenn dir was Gutes widerfährt, dann kommt bestimmt was
Schlechtes hinterher«, ist der Spruch ihrer Mutter, den sie
beim heutigen Besuch im Elternhaus wieder über sich ergehen
lassen musste. Ihre Mutter hatte schon immer eine
zerstörerische Ader gehabt, die sie der Tochter in
resignativer Form mit auf den Weg gegeben hat. In ihrem Weltbild
sind die Männer grundsätzlich schlecht, alle Männer,
selbst Susans Vater macht da keine Ausnahme. Außerdem ist sie
die Art Frau, die sich zu Höherem berufen fühlt, die den
gewöhnlichen Beruf des Vaters, Lagerverwalter in einem
Autohaus, verabscheut, obwohl sie selbst als Sekretärin bei
einer Handelsfirma im Hafen auch keine höhere Position
einnimmt.
Als Susan vor zwei
Jahren bei der Husumer Kripo anfing, sagte sie nur: ›Du
bringst es auch nicht weiter als dein Vater‹. Schweren
Herzens hatte sie damals ihren Freund den Eltern vorgestellt. Der
einzige Kommentar ihrer Mutter: ›Sei bloß vorsichtig
mit dem, was du dir wünschst. Am Ende könntest du es
bekommen.‹
Das letzte Erlebnis
mit der Mutter liegt erst fünf Tage zurück. Susan wollte
vermeiden, dass ihr gemeinsames Gespräch auf die Trennung von
Frank zusteuern könnte und sie dann ellenlange
Erklärungen abliefern müsste. Um abzulenken, hatte sie
ihre Mutter deshalb gefragt, ob sie als Baby eigentlich gestillt
worden war. »Um Gottes Willen, nein!«, war die knappe
Auskunft gewesen. Susan verspürte einen Stich,
siedendheiß, als wäre eine Klinge in ihr Herz
gedrungen.
Das ist der Stich, den
sie spürt, wenn sie Marcus Bender aus der Ferne beobachtet,
wie er aufgekratzt mit Ronja schäkert.
Eine willenlose
Marionette, die Ronja mit ihren eigenen Fäden umgarnt, denkt
Susan und würde am liebsten die Augen schließen, um
nichts mehr zu sehen. Doch sie ist mitsamt ihren Lidern
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