Poppenspael
einsam auf
ihrem Sockel im Oval des Vorbaus und legt ergeben ihre Hand auf
einen Stahlhelm. Keiner der Störenfriede ist mehr zu sehen. Er
richtet sich auf, steht vor der hüfthohen, runden
Einzäunung aus Naturstein, die ringsherum mit runden
Steinkugeln verziert wurde, und schaut auf die Vorderseite des
Denkmals. ›Kein Krieg im Irak‹, haben die Typen mit
roter Lackfarbe quer über die grauen Namenstafeln der
längst vergessenen Kriegstoten gesprüht. Die Farbe ist
noch feucht und läuft in feinen Fäden herab.
Diese beknackten
Weltverbesserer, denkt Timm, aber allemal besser als diese
Nazis.
Er geht erleichtert zu
seinem Schlafplatz zurück, verstaut seine wenigen Sachen in
einem löchrigen Seesack und macht sich auf den Weg zum
Bahnhof. Dort, hinter einer Hecke am Parkplatz, hat er heimlich
eine Kuhle gegraben, in die der Seesack genau hineinpasst, die den
Reisenden, die hier täglich vorbeiströmen, nicht
auffällt. Jeder, der auf der Straße lebt, hat einen
festen Platz, wo er seine Sachen tagsüber deponieren
kann.
Auf dem Weg zum
Bahnhof macht er einen Abstecher durch den Schlossgang. Kurz vor
den beiden Rundbögen, durch die man zum Marktplatz kommt,
liegt rechts ein öffentliches Pissoir. Dort stehen meistens
ein paar Kumpel herum, das ist der gemeinsame Treffpunkt in Husum,
und von denen erfährt man die neusten Dinge aus dem Revier.
Manchmal bringt jemand auch eine Flasche mit. Heute steht aber
niemand da, es ist noch zu früh. Harald Timm geht über
den Marktplatz, die Krämerstraße hinunter und am Hafen
links in Richtung Bahnhof. Kein Mensch ist auf den Straßen,
er hat kein Problem, den Seesack ungesehen hinter den dichten
Blättern verschwinden zu lassen. Am Tag braucht er nur seinen
Schnorrbecher, er muss schon zwischen fünf bis zehn Euro
erbetteln, um zu überleben. An manchen Tagen müssen aber
auch drei Euro reichen.
Vor einer Woche
reichte es mal wieder vorn und hinten nicht, und er hatte
beschlossen, seiner Schwester vor ihrem Büro aufzulauern. Doch
die wollte die alten Geschichten von ihrem gemeinsamen Vater und
dem verschuldeten Fahrradladen nicht hören, war sogar
knallhart geblieben, als er ihr von einer Chance auf einen neuen
Laden erzählt hatte. »Du riechst nach Schnaps«,
sagte sie am Ende nur und hatte ihn einfach stehen gelassen. Am
liebsten hätte er sie auf der Stelle gewürgt.
Erstick an deinem
Geld, Pfennigfuchserin, denkt er verbittert, als er darüber
nachdenkt und sich auf eine Bank neben dem Bahnhofsgebäude
setzt. Lebt täglich in Saus und Braus, aber ist sich zu fein,
auch nur einen Euro rauszurücken. Außerdem trink ich
kaum was, mal einen Kurzen, morgens, wenn es besonders kalt ist,
oder mit den Kumpels auf Platte, wenn die Flasche rumgereicht
wird.
Im Sommer vor drei
Jahren wollte er ganz damit aufhören, mit dem Alkohol. Er
hatte einen kalten Entzug probiert, mehrere Tage mutterseelenallein
in den Dünen vor der Nordseeküste gelebt und hatte nichts
gegessen und keinen Alkohol getrunken. Als er am ganzen Körper
nur noch gezittert hatte, war er nach Husum
zurückgekehrt.
»Haben Sie etwas
dagegen, wenn ich mich dazusetze?«, fragt eine verhaltene
Stimme. Ein kleiner Mann ist wie aus dem Nichts aufgetaucht. Er hat
ihn nicht kommen sehen und wird förmlich aus seinen Gedanken
aufgeschreckt. Das etwas verwahrloste Aussehen des Fremden
täuscht Harald Timm nicht darüber hinweg, dass er
bestimmt nicht auf der Straße lebt. Die Kleidung ist sauber
und das Hemd sogar gebügelt.
»Setz dich
ruhig«, fordert Timm ihn auf. »Du bist früh auf
den Beinen, Mann.«
»Schlaf
schlecht, liege fast immer die ganze Nacht wach.«
»In der Nacht
war Vollmond!«
»Daran liegt das
bestimmt nicht.«
»Und das
weißt du so genau?«
»Doch, ja. Ich
glaub schon. Vorgestern war nämlich die Polizei bei
mir.«
»Die
Polizei?«
»Ja, die
Kriminalpolizei!«
»Was wollen die
Kriminalen von dir?«
»Das hab ich
mich auch erst gefragt. Sie werden es mir nicht glauben, aber bei
meinem Chef haben sie eingebrochen, meinem ehemaligen
Chef.«
»Was, und jetzt
glauben die …!«
»Anscheinend,
fragten, wo ich Mittwochnacht gewesen bin. Die glauben wirklich,
ich würde mich rächen, weil man mich rausgeschmissen
hat.«
»Ich kenn die
Polizei, Mann, die glauben, was sie wollen.«
»Mein Leben ist
sowieso ruiniert, dazu brauch ich die Polizei nicht mehr. Als die
mich entlassen haben, vor ’nem halben Jahr, diese Banditen,
da hab ich über 20 Jahre für die Firma …,
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