Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
Vom Netzwerk:
und der Durst wurde nur noch schlimmer davon.
    Am zweiten Tag überfiel mich Schläfrigkeit. Viele Stunden lang dämmerte ich in einem Halbschlummer dahin. Die Leere erschien wie eine Befreiung. Mein Zeitgefühl schwand dahin, ich glitt in ein angenehmes Gefühl des Vergessens und begriff, dass ich starb.
    Als ich das nächste Mal wieder erwachte, musste ich feststellen, dass eine ganze Weile vergangen war. Das grünliche Tageslicht, das durch das Ventil hereinsickerte, war schwächer geworden. Die Tage wurden kürzer. Es wurde nachts viel kälter, und bald stellte sich auch der Frost ein. Ich hielt mich warm, indem ich wie eine Kröte mit kleinen, albernen Bewegungen auf und ab hüpfte.
    An den Winter habe ich nicht viele Erinnerungen. Ich kauerte mich wie ein Ball zusammen und schlief die meiste Zeit. Die Wochen vergingen in einer Art Winterschlaf. Als die Frühlingswärme endlich wieder zu spüren war, entdeckte ich, dass ich gewachsen war. Die Kleider waren zu eng und unbequem. Unter großen Schwierigkeiten zog ich sie aus und wartete nunmehr nackt weiter.
    Stück für Stück füllte mein Körper den knappen Hohlraum immer mehr aus. Es mussten einige Jahre vergangen sein. Die Körperfeuchtigkeit führte dazu, dass das Eisen rostete, ich hatte Rostflocken in meinem wild wuchernden Haar. Jetzt konnte ich nicht mehr hüpfen, nur noch wie eine Ente seitwärts schaukeln. Selbst wenn jetzt die Luke geöffnet würde, wäre sie für mich zu eng. Mit der Zeit wurde es fast unerträglich. Ich konnte mich nicht einmal mehr seitwärts bewegen. Mein Kopf war zwischen die Knie gepresst. Die Schultern konnten nicht mehr breiter wachsen.
    Mehrere Wochen lang dachte ich, die Sache wäre gelaufen.
    Zum Schluss ging es nicht weiter. Ich füllte den Hohlraum vollständig aus. Es gab keinen Platz mehr, um zu atmen, ich bekam nur mittels kleiner, schnappender Bewegungen Luft. Und trotzdem wuchs ich noch weiter.
    Eines Nachts geschah es. Ein sprödes Knacken. Als bräche man einen Seitenspiegel ab. Eine kurze Pause und anschließend ein langsames Knirschen auf meinem Rücken. Als ich versuchte nach hinten zu schauen, gab die Wand nach. Sie bog sich und zerbarst in einer Wolke von Scherben, und ich wurde in die Welt hinauskatapultiert.
    Nackt, neu geboren, krabbelte ich im Gerümpel herum. Stellte mich auf sehr wackligen Beinen auf und suchte Halt an einem Regal. Verwundert stellte ich fest, dass die Welt geschrumpft war. Nein, ich war derjenige, der doppelt so lang geworden war. Um mein Geschlecht herum wuchsen Haare. Ich war erwachsen geworden.
    Hinaus in die eiskalte Winternacht. Kein Mensch war zu sehen. Ich stapfte durch den Schnee und hastete barfuß durch den Ort, immer noch nackt. Auf der Kreuzung zwischen dem Farbenladen und dem Kiosk lagen vier Jünglinge mitten auf der Fahrbahn. Sie schienen zu schlafen. Ich blieb stehen und betrachtete sie verwundert. Beugte mich im Straßenlicht tiefer über sie.
    Einer der Jünglinge war ich.
    Mit einem merkwürdigen Gefühl legte ich mich auf der eisbedeckten Fahrbahn neben mich selbst. Die Kälte direkt auf der Haut, sie schmolz und wurde feucht.
    Ich wartete. Sie würden schon zur rechten Zeit aufwachen.
    KAPITEL 4
    - in dem die Kinder des Ortes in die Gamla Skolan kommen, etwas über das südliche Schweden lernen und wie das Lernen an sich vonstatten geht.
    An einem bewölkten Augustmorgen erklang die Glocke, und ich begann mit der Schule. Klasse eins. Feierlicher Einmarsch mit Mama in das große gelbgestrichene Holzgebäude, das die Grundschule beherbergte, eine alte Schule, die ganz phantasievoll Gamla Skolan getauft worden war.
    Wir wurden knarrende Treppen hinaufgelotst, in ein Klassenzimmer im ersten Stock, gingen über breite, verblichene Bodenplanken mit einer glänzenden, dicken Lackschicht und wurden jeder auf unsere antike Schulbank mit Holzdeckel, Federmulde und Loch für das Tintenfass verwiesen. Überall waren die Messerspuren etlicher Schülergenerationen zu sehen. Die Mütter marschierten hinaus, und wir blieben zurück. Zwanzig Kinder mit wackligen Milchzähnen und warzigen Fingergelenken. Einige hatten Sprachfehler, andere Brillen, viele sprachen daheim Finnisch, eine ganze Menge war mit Prügeln erzogen worden, fast alle waren scheu, kamen aus Arbeiterheimen und wussten schon von Anfang an, dass sie nicht hierher gehörten.
    Unsere Lehrerin war über Sechzig, trug eine runde Nickelbrille, einen Knoten im Nacken mit Netz und Haarnadeln und hatte eine lange, gekrümmte

Weitere Kostenlose Bücher