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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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warmem Teer von der sonnenheißen Dachpappe oben. Ich glitt voran, schwamm geradezu in dem dumpfen Dunkel. Es war olivgrün wie am Grunde eines Nadelwalds. Ich bewegte mich wie zwischen Schlafenden. Atmete geräuschlos durch die Nase, spürte, wie der Staub sie kitzelte. Meine Segeltuchschuhe, weich wie die Pfoten einer Katze, hinterließen auf dem Zementboden keine Geräusche.
    Stopp! Ein Riese wuchs vor mir in die Höhe. Ich wich zurück, eine schwarze Gestalt in der Finsternis. Mein Körper erstarrte.
    Aber das war nicht der Hausmeister. Sondern ein alter Heizkessel. Hoch und schwer durch die Metallplatten. Dick wie eine Hausfrau mit großen gusseisernen Luken. Ich öffnete die größte. Schaute in eine kalte, kohlrabenschwarze Öffnung. Rief leise hinein. Meine Stimme hallte da drinnen wider. Im Inneren war es leer. Eine eiserne Jungfrau, nur noch mit der Erinnerung an ein das Innere verzehrendes Feuer.
    Vorsichtig schob ich den Kopf durch die Luke. Tastete mit der Hand und spürte, wie sich Rostklumpen von den Wänden lösten, vielleicht war es auch Ruß. Drinnen roch es nach Metall, Oxid und altem Feuer. Ich überlegte eine Weile, sammelte all meinen Mut. Dann zwängte ich mich durch die enge Feuerluke hinein.
    Ich war in der eisernen Jungfrau. Hockte in ihrem runden Bauch, zusammengekauert wie ein Fötus. Ich versuchte mich hinzustellen, aber mein Kopf schlug oben gegen das Metall. Leise schloss ich die Luke hinter mir, zog sie so weit zu, bis auch der letzte schwache Lichtstreifen verschwand.
    Eingeschlossen. Sie brütete mich aus. Beschützte mich mit ihren kugelsicheren Wänden wie eine Schwangere. Ich war in ihr, und ich war ihr Kind. Das fühlte sich so prickelnd wie eklig an. Eine Sicherheit, gemischt mit einem merkwürdigen Gefühl der Scham. Ich tat etwas Verbotenes. Ich verriet jemanden, vielleicht meine Mutter. Mit geschlossenen Augen kauerte ich mich zusammen und lehnte mein Kinn auf die Knie. Sie war so kalt, während ich warm und jung war, ein kleiner, schwelender Glutklumpen. Und als ich lauschte, konnte ich sie flüstern hören. Ein leises Sausen in einem Riss oder einem abgenutzten Rohrstutzen, zärtliche, tröstende Worte.
    Da hörte ich es poltern. Der Hausmeister trampelte in den Geräteschuppen. Er war wütend und versprach allen verfluchten Kindern Prügel. Ich saß atemlos da und hörte ihn suchend herumlaufen, Möbel hochheben, gegen Gerümpel treten, als jage er Ratten. Er lief im Schuppen herum und stieß wilde Drohungen aus, anscheinend hatte mich jemand in der Nähschule gesehen und verpetzt. Und das ging über »djävlar« und »perke-le«, Todesflüche auf Schwedisch und Finnisch.
    Direkt vor dem Heizkessel blieb er stehen und schien in der Luft zu schnuppern. Als würde er Witterung aufnehmen. Ich hörte etwas gegen das Metall kratzen, und mir war klar, dass er sich gegen sie lehnte, gegen die eiserne Jungfrau. Das Einzige, was uns noch trennte, war eine drei Zentimeter dicke Eisenhaut.
    Die Sekunden schleppten sich dahin. Dann war noch ein Kratzen zu hören, und die Schritte verloren sich. Die Schuppentür wurde zugeworfen. Ich blieb sitzen. Unbeweglich wartete ich, dass die Minuten vergehen würden. Und plötzlich hörte ich von neuem das Schlurfen von Schritten. Der Hausmeister hatte nur so getan, als würde er gehen, um die Beute mit der List eines erwachsenen Mannes zu schnappen. Aber nun gab er auf, diesmal ging er wirklich hinaus, ich konnte seine Schritte auf dem Kies draußen hören.
    Jetzt erst traute ich mich, meine Position zu verändern. Die Gelenke schmerzten, und ich drückte gegen die Luke. Sie saß fest. Ich packte fester zu. Doch die Luke ließ sich nicht bewegen. Eine Woge kalten Schweißes überschwemmte mich. Die Angst wurde zur Panik, der Hausmeister musste an den Hebel gekommen sein. Ich war eingeschlossen.
    Nachdem sich die erste Erstarrung gelöst hatte, begann ich zu schreien. Das Echo verstärkte meine Stimme, ich steckte die Finger in die Ohren und brüllte los.
    Aber niemand kam.
    Heiser und erschöpft sank ich nieder. Würde ich sterben? Verdursten, in meinem Sarkophag verdorren?
    Der erste Tag war schrecklich. Meine Muskeln schmerzten, die Waden zogen sich in Krämpfen zusammen. Der Rücken wurde steif, da ich gezwungen war, zusammengekauert zu sitzen. Der Durst machte mich fast wahnsinnig. Meine Körperfeuchtigkeit wurde von den rußigen Wänden kondensiert, ich merkte, wie es von ihnen tropfte, und versuchte sie abzulecken. Es schmeckte metallisch,

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