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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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einem knallblauen Dach und stillstehender Hitze. Die Mücken schlüpften in Millionenschwärmen in den Sümpfen, das Linienboot fuhr ununterbrochen über den Fluss zum Badestrand bei Esisaari, und Altenburgs Casino hatte seinen rotgelben Saloon auf der Wiese aufgeschlagen, mit Schießständen, einarmigen Banditen und allen möglichen anderen Verlockungen, die eine Gefahr für das Taschengeld der Dorfkinder darstellten. Der Casinodirektor stolzierte mit nacktem Oberkörper herum, behaart wie ein alter Bär, mit einem Cowboyhut auf seiner grauen Haarmähne und lockte:
    »Zehn Lose für einen Fünfer! Zehn Fünfer für ein Los!«
    Während ich daheim lag, der Schweiß in Fluten rann und ich darum bat, eine Kanne Wasser ans Bett gebracht zu bekommen. Ich trank und trank, konnte aber nur dunkelgelbe Tropfen pissen. Mein Gesicht war angeschwollen und von grünem Schleim aufgepumpt, den ich ausrotzte, bis meine Nase Schürfwunden hatte. Ab und zu versuchte ich auf der Gitarre zu spielen, war davon aber sofort vollkommen durchgeschwitzt und benommen. Stattdessen dämmerte ich dahin. Lauschte der Hummel, die sich zu mir herein verirrt hatte und jetzt gegen das Fliegennetz stieß, dumpf summend, während die Mücken mit ihren Rüsseln von der anderen Seite durch die Maschen stachen.
    Langsam legte sich die Erkältung. Eines Tages, als die Sonne frühmorgens schon brannte, setzte ich mich auf und tastete nach der Wasserkanne. Gierig trank ich aus ihr und wischte mir die Tropfen aus den Mundwinkeln.
    Da fiel es mir ein. Das, was sich im Hinterkopf befunden hatte, was ich in meinem Fieber und Husten verdrängt hatte.
    Mit einem Schauder zog ich mich an. Hörte, wie Papa im
    Schlafzimmer schnarchte. Leise schlich ich mich hinaus in das starke Morgenlicht. Ich versuchte auszurechnen, wie lange ich wohl krank im Bett gelegen hatte, wie viele Tage vergangen waren. Mit einer unangenehmen Vorahnung radelte ich zu der Hütte des Deutschen.
    Schon auf der Landstraße war der Geruch wahrzunehmen. Übelkeiterregend. Süßlich. Er wurde stärker, je näher ich kam. Süßer und beißender. Ich hielt die Hand vors Gesicht. Sah den Kartoffelacker mit seinem hochstehenden Kraut. Die Scheune und die Rattenstraße. Den Benzinkanister.
    Dreißig Meter vor dem Haus war ich kurz vorm Ersticken. Ich holte tief Luft und rannte das letzte Stück.
    Ein grauer Brei. So viele, dass die Leichen übereinander lagen.
    Ich beugte mich hinunter, sodass mein Schatten auf die Körper fiel. Ein Aufzucken. Eine dicke Wolke von Fliegen stieg auf. Erschrocken wich ich zurück. Konnte aber noch sehen, wie es sich da unten bewegte. Wogte wie ein Meer. Ein schwankender Teppich von Larven.
    Geschockt stolperte ich auf die Wiese hinaus. Ein Würgen durchfuhr meinen Körper. Ich hustete und lief, bis ich hinfiel. Spuckend fiel ich kopfüber in ein paar Löwenzahnblätter, versuchte mich zu übergeben, schaffte es aber nicht.
    Schließlich gelang es mir doch, mich zu fassen und meine Schuhe wegzuschleudern. Riss mir die Strümpfe von den Füßen, sie waren feucht vom Fußschweiß. Dann band ich sie mir über Mund und Nase. Der Geruch war muffig, aber es war mein eigener. Mit verzweifelter Energie kam ich wieder auf die Beine.
    Ich holte die Schubkarre hervor und begann sie mit Erde zu füllen. Ich wollte das Massengrab dort zudecken, wo es lag. Das war die einzige Möglichkeit. Sie alle begraben. Mit Erde bedecken und versuchen zu vergessen.
    Als die Karre voll war, schob ich sie hin und füllte meine
    Lunge mit Sauerstoff. Dann rauf mit dem Strumpf und die Sache erledigt. Nicht nachdenken. Nur in Aktion treten, so schnell wie möglich.
    Wenn da nicht eine Sache wäre.
    Das Geld.
    Denn so war es nun einmal, wenn man es nüchtern und sachlich betrachtete, was gewiss nicht so einfach war. Die Tonne war voll mit Geld. Da lagen Fünfundzwanzig-Öre-Münzen in Hülle und Fülle. Die ich jetzt begraben wollte.
    Ich stellte die Schubkarre wieder ab. Zögerte. Dann, mit dem Mut der Verzweiflung, holte ich eine Harke aus dem Schuppen. Nach einem tiefen Atemzug stürzte ich zur Tonne. Stieß die Harke in die Brühe, dass die Fliegen davonspritzten. Rührte herum und konnte ein paar Leichen heraussieben. Die Haut platzte auf, und die Fliegenlarven fielen wie weiße Tropfen aufs Gras. Fast erstickt lief ich weg, um wieder Atem zu schöpfen. Holte die Schafschere und zog mir ein paar schmutzige Arbeitshandschuhe über. Dann zwang ich mich, zurückzugehen.
    Aus der Nähe waren alle

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