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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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brach einen Blätterzweig ab und versuchte die Flammenzungen niederzupeitschen, aber in der Trockenheit verbreiteten sie sich unbeirrt. Bald hatten sie den ersten Baum erreicht. Verzweifelt versuchte ich die Katastrophe aufzuhalten. Und da ging plötzlich eine Böe durch den Wald, eine sanfte Brise, die ins Flammenzentrum wehte. Es schien, als söge das Feuer den Sauerstoff gierig auf, als wäre es der Atem des Feuers selbst, ein Wind, der immer kräftiger wurde, während sich die Flammen durch das Blattwerk nach oben arbeiteten. Und tief drinnen, im Herzen der Vernichtung, blubberte das Krematorium.
    Ich stand wie gelähmt da. Mit überraschender Geschwindigkeit verbreiteten sich die Flammen im Wald, warfen ihre Fackeln von Baum zu Baum. Wieder versuchte ich mit meiner Laubrute zu peitschen, kämpfte voller Panik, doch mit jeder Minute wurde die Katastrophe nur größer.
    »Die Feuerwehr!«, dachte ich und wollte Hilfe holen. Aber ich konnte nicht, irgendetwas hielt mich zurück, ich schlug und peitschte mit brennenden Augen. Unerschüttert breitete sich das Feuer bis zum Waldrand aus, eine rasende Kriegsfront. Die Scheune begann zu schwelen und war bald nicht mehr zu retten. Und in der Windrichtung lag auch das Haus. Der Funkenregen fiel immer dichter. Spitze Feuernadeln regneten herab. Und bald fanden sie Halt auf dem Teerdach.
    Es war der Krieg, der gekommen war. Ein wildes Tier, das wuchs und wuchs und nicht mehr zu bändigen war. Und ich war derjenige, der die Schuld daran hatte, es war alles mein Fehler.
    In dem Moment stand Heinz da. Mit aufgerissenen Augen. Voller Panik.
    »Mein Manuskript!«, schrie er und riss die Haustür auf. Das Dach stand in Flammen, und der Rauch quoll dicht heraus, aber er bückte sich nur. Er wollte hinein, er tastete sich vor. Mit leeren Händen und tränenden Augen war er zum Rückzug gezwungen. Dennoch versuchte er es erneut, und jetzt war auch Feuer in dem Rauch, jetzt konnte man einen gelben Schein sehen. Und diesmal kam er mit einem Papierbündel im Arm heraus. Er drückte es fest an den Körper wie ein Kind, drückte es sich an die Brust und sank hustend aufs Gras nieder.
    Ich ging zu ihm hin. Rußig und stinkend, nur in Unterhose. In der Hand hielt ich die Schnur mit den abgerissenen Schwänzen. Sie waren immer zu zehn Stück gebündelt, leichter zu zählen. Einfach zu kontrollieren.
    »Einhundertvierundachtzig Stück«, stammelte ich.
    »Zweiundneunzig Kronen.«
    Heinz starrte mich mit leerem Blick an. Dann packte er die Schnur mit den stinkenden Schwänzen und warf sie wütend in das Flammenmeer.
    »Das ist deine Schuld!«
    Keine lederbraune Brieftasche. Kein Geld. Keine Gitarre.
    Verzweifelt riss ich ihm das Papierbündel aus der Hand und schmiss es in die Hitze. Und dann lief ich davon, lief so schnell ich nur konnte.
    Heinz sprang mit einem lang anhaltenden Brüllen auf. Er versuchte sich hineinzukämpfen, diesmal aber vergebens.
    Als die Feuerwehr endlich eintraf, saß er auf dem Brunnendeckel, der alte Soldat, und weinte.

KAPITEL 13
    - in dem ein Musiklehrer mit dem Daumen mitten in der Hand eintrifft, und wir eine überraschende Begabung
    aus Kihlanki kennen lernen.
    In der Siebten bekamen wir einen neuen Musiklehrer. Er hieß Greger und stammte aus Schonen, ein langer, breitlippiger Bauernbursche, der alle rechten Finger in einer Riemenscheibe verloren hatte. Nur der Daumen war noch da, groß wie eine gekrümmte Kartoffel. Nach dem Unfall hatte er sich umschulen lassen und war jetzt als frisch examinierter Musikfritze in Pajala gelandet. Es war schwer zu verstehen, was er sagte. Ansonsten war er ein fröhlicher Kerl mit sonderbarem Humor. Ich werde nie die erste Stunde vergessen, er kam mit der Faust in der Jackentasche herein und begann zu rollen:
    »Hierrr kommt einerrr mit dem Daumen mitten in derrr Hand!«
    Mit genau geplantem Schockeffekt zog er seine verstümmelte Hand hervor. Wir rissen die Augen vor Entsetzen auf. Er drehte die Hand um, und wir sahen, dass der Daumen und die behaarten Knöchel in einem bestimmten Winkel aussahen wie ein männliches Geschlechtsorgan. Nur ekliger und knochiger, mit einer übernatürlichen Gelenkigkeit.
    Greger brachte eine unbekannte Neuheit mit nach Pajala, ein Zwölfgang-Rennrad. Das gehörte zu den extremsten und unnützesten Dingen, die man je gesehen hatte, mit steinhartem Ledersattel und zigarrenschmalen Reifen, und ihm fehlten Schmutzfänger und Gepäckträger. Es sah fast unanständig aus, geradezu nackt. Er brauste

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