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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Hand an und traf auf einen Heinz, der voll mit Packen beschäftigt war. Sein Rucksack stand mitten im Raum, Kleider hingen über Stühlen und Tischen. Heinz zog das Geld im Vorbeisausen heraus und erklärte mir, dass er für ein paar Wochen nach Finnland fahren würde, um dort in einem Archiv zu forschen. Er müsste die Anordnung der Häuser in einer Stadt vor dem Brand studieren und einige Einwohnerlisten durchgehen. Als Autor war er sehr genau mit den Details, was eigentlich jeder Schriftsteller sein sollte, womit aber seiner Meinung nach sehr geschlampt wurde, besonders unter den jüngeren Romanschreibern. Während der Zeit könnte ich mich doch wohl ums Haus kümmern?
    Ich versprach es und erfuhr, wo der Schlüssel liegen würde. Gleichzeitig schwindelte mir ein wenig. Mir tat der Kopf vorn in der Stirn weh, und in den Achselhöhlen hatte ich so ein steifes Gefühl. Vielleicht zog ja ein Gewitter auf. Als ich wieder hinaustrat, sah ich tatsächlich, wie sich eine rollende Wolkenbank von Finnland her näherte. Sie sah aus wie ein Rauchpilz von der Rattengrube, aber viel breiter und mächtiger. Ein dumpfes Grollen wie von einer Front russischer Panzer war zu hören. Heinz kam heraus und stellte sich neben mich. Überraschenderweise legte er seinen Arm um meine Schulter, fast väterlich. Die Luft schien stickiger zu werden, schwerer zu atmen. Der Schweiß trat mir auf die Stirn. In der Dunkelheit unter den Wolkenmassen waren Blitze wie schnelle Fische zu sehen.
    »Da!«, zeigte Heinz.
    Eine Rauchsäule stieg mehrere Kilometer entfernt auf. Ein Baum, ein Gehölz? Oder ein Haus? War das ein Haus, das brannte? Und für einen Moment verwandelte sich die Gewitterwolke in Feuerqualm, ganz Finnland stand in Flammen, in einem flammenden Inferno ins Nichts verwandelt. Heinz stand unbeweglich da. Seine eisgrauen Augen waren auf die Ferne gerichtet, aufgerissen. Sie sahen aus wie Münzen. Dann strich er sich leicht mit den Fingerspitzen über den Schnurrbart. Ein Haar löste sich. Er hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger, der Blick kehrte ins Jetzt zurück. Das Haar war steif und gekrümmt wie ein abgebranntes Streichholz. Er wickelte es schweigend um den Finger. Ließ es dann los, ließ es unter die Erinnerungen fallen.
    Gerade als der Regen einsetzte, bekam ich meine ersten Schüttelfrostanfälle. Ich radelte nach Hause und warf mich auf die Küchenbank, zog die Knie hoch, um nicht gegen die Sprossen zu stoßen. Als das Gewitter mit seinem Lärm einsetzte, schloss Mutter alle Fenster und Türen und zog alle Stecker heraus. Die Wolkenbank ergoss seinen schaurigen Inhalt über uns. Der Regen trommelte gegen die Dachpappe, zog graue Gardinen vor die Fensterscheiben. Ein neues Donnerdröhnen. Ich zog Decke und Tücher über mich, fror und schwitzte abwechselnd. Mutter kam mit Wasser und einer Tüte mit doppelkohlensaurem Natron, da die Heilkraft von doppelkohlensaurem Natron Wunder wirkte und sich weit über das hinaus erstreckte, was auf der Packung stand. Trotzdem stieg das Fieber im Einklang mit dem Donner. Das Unwetter presste seine nassen Füße auf den Ort, bis mein Kopf kurz vorm Zerplatzen war. Merkwürdige Bilder kamen heraus, Hexenwesen mit leuchtenden Rändern, die langsam in die Luft sprangen. Sie hatten Messer und schnitten einander Scheiben aus dem Fleisch, flach wie bei Anziehpuppen. In einem langsamen Tanz verstümmelten sie einander und verschmolzen mit den Teilen, sodass sie sich ständig veränderten, ihr Fleisch sich mit dem der anderen vermischte. Die Szene bereitete mir Übelkeit, Ekel, aber es war unmöglich, sie wegzudrängen. Als würde jemand anders mit meinem Gehirn denken, als wäre ich nur ein Eindringling.
    Mutter versuchte die Ruhe zu bewahren, aber die Besorgnis war ihr anzusehen. Sie verbarg sie hinter einer schroffen Miene, indem sie ihre Unterlippe vorschob, sodass man die glänzende Schleimhaut sah. Sie hatte das Alter erreicht, in dem die Haut im Gesicht anfängt zu hängen, wie ein etwas zu groß geratener Pullover. Wenn sie lachte, strammte sich die Haut in unzähligen Falten, dass sie einem Haublock ähnelte, und andere Gesichtsausdrücke benutzte sie nicht. Was schön an ihr war, das war ihr Haar, rotbraun und dick fiel es bis auf die Schultern. Wenn sie es bauschig bürstete und ihr eine Locke übers Auge fiel, konnte sie aussehen wie ein Filmstar.
    Ich fror, dass ich zitterte. Mutter ging ins Wohnzimmer und machte Feuer im offenen Kamin, obwohl es doch mitten im Sommer war. Eine

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