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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Weile hörte ich, wie sie Birkenrinde zerriss und mit dem Schürhaken klapperte. Dann wurde es merkwürdig still.
    Ein glänzendes Licht fiel in die Küche. Als wäre die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen. Aber draußen fiel immer noch der Regen. Mühsam richtete ich mich auf. Schaute verwundert und entdeckte, dass der Schein aus dem Wohnzimmer kam.
    »Was ist das?«, rief ich, bekam aber keine Antwort. Auf fieberschwachen Beinen stolperte ich dorthin. Vor dem Kamin stand Mutter wie ein Fechter, den Schürhaken weit ausgestreckt. Das Licht kam von der Feuerstelle. Gelbweiß, grell.
    »Zurück, Mama!«, rief ich.
    Mutter trat einen Schritt zurück, den Feuerhaken weiter schützend von sich gestreckt. Aber das Licht folgte ihr. Aus den Flammen schwebte eine leuchtende Kugel. Sie knisterte wie weißes, glühendheißes Eisen und schwankte leicht, als schwimme sie in der Luft. Die Kugel blieb mit einem Zittern stehen, kurz vor dem Feuerhaken. Ich sah, wie Mutter anfing zu leuchten. Ein blauer Schein um ihre Haut. Ihre Haare richteten sich auf und begannen zu Berge zu stehen.
    »Lass los! Lass den Feuerhaken los!«
    Aber sie schien wie hypnotisiert zu sein. Wich nur Schritt für Schritt zurück, während sie den Feuerhaken hin und her schwenkte. Die Kugel folgte ihr. Sie schwenkte das Eisen immer schneller, doch die Kugel folgte ihr wie magnetisch angezogen.
    »Lass doch los, Mama, verdammt noch mal!«
    Stattdessen begann sie mit dem Haken zu kreisen. Schwang ihn wie ein Hammerwerfer in dem Versuch, das Fremde abzuschütteln. Aber es folgte ihr. Und nahm an Geschwindigkeit zu. Nahm Fahrt auf, dass es in der Luft zischte. Kleine Blitze flammten um den Schaft herum auf. Die Kugel saß weiterhin an der Spitze fest. Sie keuchte, glotzte und kreiste immer wilder. Bald umgab sie ein Kreis, eine Glorie, ein elektrischer Zirkel. Sie konnte nicht aufhören. Drehte und drehte, dass es sauste, summte, bis das ganze Zimmer von blauen Flammen funkelte. Sie wurde schneller. Und immer schneller. Bis es schneller nicht mehr ging.
    Da ließ sie los. Der Feuerhaken und die Kugel flogen geradewegs hinaus. Knallten durch die Wand, krawummmm! Ein Dröhnen, dass die Ohren sich ringelten, Holzspäne flogen uns ums Gesicht. Und dann Schweigen.
    Ich war zu Boden geworfen worden. Schwindlig hob ich den Kopf, schüttelte Dreck aus dem Haar. Mutter saß mit ausgestreckten Beinen auf ihrem Po, den Mund zu einem kleinen O geformt. Wir stellten fest, dass wir überlebt hatten. Unsicher kamen wir auf die Beine und stapften zur Wand.
    Dort war ein Loch. Eine gähnende Öffnung in der Hauswand, als hätte jemand eine Faust direkt dort hindurchgeschlagen. Von dem Schürhaken war keine Spur zu sehen. Er lag weder drinnen noch draußen auf dem Rasen, und lange Zeit glaubten wir, er hätte sich in irgendeiner Form dematerialisiert.
    Aber im Herbst wurde er überraschenderweise wieder gefunden. Tief im Gestrüpp der nachbarlichen Johannisbeersträucher, zwei Häuser weiter, rostig und verdreht wie ein Korkenzieher.
    Ich maß sorgfältig den Abstand. Achtundneunzig Komma fünf Meter. Hammerwerferrekord für Frauen.
    Das Unwetter verzog sich, aber ich lag weiterhin unter den Decken. Das Fieber hielt zwei lange Tage an und verwandelte sich anschließend in einen migräneähnlichen Kopfschmerz. Die Gelenke fühlten sich steif an, die Augen waren überempfindlich für Licht, der Hals war rau und schuppig. Der Körper schien schwer wie ein Schiffsrumpf, der torpediert worden war und nun langsam auf den Meeresgrund sank. Ich konnte kaum einen Arm heben, und ich hatte Probleme mit dem Schlucken. Wie üblich in Tornedal vermieden wir es so lange es nur ging, zum Arzt zu gehen, da das der sicherste Weg war, möglichst bald die eigene Beerdigung zu erleben. Papa ging stattdessen zu einem Nachbarn, der ein Arztbuch auf Finnisch hatte und die Diagnosen Hirnhautentzündung, Masern, Nesselfieber, Gehirnkrebs, Mumps und Jugenddiabetes stellte. Dann kam der Husten und Rotz, und es war offensichtlich, dass es sich um eine Sommergrippe handelte. So eine anständige mit schmerzenden Nebenhöhlen, aber im Großen und Ganzen ungefährlich. Niila kam zu Besuch, kehrte aber gleich in der Tür um, als er den Pestgeruch schnupperte.
    Draußen kam jetzt die Hochsommerhitze. Die Gewitterfront hatte ein Loch ins Luftmeer gerissen, es gereinigt und den Weg für die Kontinentalwärme aus Sibirien frei gemacht. Jetzt erhob sich der Hochdruck über uns wie ein riesiges Zirkuszelt mit

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