Populaermusik Aus Vittula
waren die Rattenkörper voll mit Fliegenlarven, die unter der dünnen Haut brodelten. Die Hitze tat das ihre dazu, und wenn der Wind vom Wald her wehte, konnte man trotz der Entfernung einen süßsauren, ekelerregenden Gestank wahrnehmen.
Heinz wusste Rat. Er holte einen Benzinkanister hervor und füllte ihn. In regelmäßigen Abständen musste ich ihn in den Wald schleppen und in der Grube auskippen. Dann warf ich ein Streichholz hinein. Mit einem dumpfen Seufzer fing der Leichenberg Feuer und brannte mit einer fast unsichtbaren Flamme. Die Felle versengten mit einem feuchten Knacken, die Schnurrbarthaare krümmten sich zusammen und verschmolzen, die Maden kamen aus den Augenhöhlen gekrochen und schrumpften mit gekrümmten Beinen zusammen, die Fliegenlarven wanden sich hinauf, wurden aber gebraten und zu Flüssigkeit, die Puppen platzten, und halbfertige blinde Schmeißfliegen zappelten mit weichen Gelenken. Der Rauch war schwarz und ölig, es stank nach Fell, verbranntem Blut, und der Rauch setzte sich in den Kleidern fest, wenn man zu nahe dran stand. Er breitete sich zwischen den Baumwipfeln aus wie ein bedrohliches Geisteswesen, ein Kriegsgott, ein anschwellender Todesbote, der langsam davonzog und sich auflöste, bis nur noch der Geschmack fetter Asche im Mund übrig blieb. Als alles verbrannt war, schaufelte ich wieder Erde und Moos auf die Grube und stapelte schwere Steine oben drauf, bis nicht einmal die Füchse meinen konnten, es wäre der Mühe wert.
Man musste nur ans Geld denken. Dann wurde alles einfacher. Die Schwänze zählen, sie in einem Bündel sammeln und das Bargeld von dem ehrenwerten Herrn quittieren, der abends auf seiner Treppe vor der Hütte saß und an seinem Kaffee schnupperte. Das war ganz einfach ein Sommerjob. Nicht schlimmer beispielsweise, als das Klo auf Pajalas Campingplatz zu schrubben.
Nach der Abendernte setzte ich mich immer in mein Zimmer und schaltete das alte Tonbandgerät ein, mit dem ich die besten Schlager der Schlagerparade eingefangen hatte. Mit wollüstigem Schauder hörte ich die merkwürdigen, phantastischen Geräusche, die eine elektrische Gitarre hervorbringen konnte, beißendes Jammern, Wolfsgeheul, Zahnarztbohrer oder das Brüllen eines frisierten Mopeds auf der Straße durch die Stadt. Ich imitierte sie geschickt mit meiner alten akustischen Gitarre. Gleichzeitig fiel hinten an der Hütte die erste Ratte ins Wasser. Fing an zu schwimmen. Schwamm. Und schwamm.
An einem Morgen Mitte Juli stieß ich auf eine Rattenstraße, die breiter war als jede, die ich bisher gesehen hatte. Sie verlief vom Wald bis zum Kartoffelacker an einem Graben entlang, gut getarnt durch buschiges Gestrüpp. Hier und da schlossen sich andere Wege vom Rauchstubenhaus und vom Klo aus an, bis sie zusammen eine beeindruckende Landstraße bildeten. Eine gut festgetrampelte Rattenrinne, die Hauptader der Ratten. Ich folgte ihr mit wachsender Spannung. Vorbei an der alten Scheune, die immer noch halb voll war mit altem Heu. Hier blieb ich stehen. Von der Scheune ging ein weiterer Rattenweg ab. Fast ebenso groß. Ich war mir sicher, dass es den vorher nicht gegeben hatte. Der Weg lief um einen Stein herum, in eine Mulde hinunter, auf der anderen Seite wieder hinaus. Und da, ein paar Meter vor dem Kartoffelacker, vereinigten sich die beiden Wege. Bildeten zusammen eine riesige, mehrspurige Autobahn.
Ich begriff, dass es um die Kartoffeln ging. Das Kraut stand hoch und grün, es war die Familie der Witwe, die das Feld weiterhin bestellte, auch nachdem sie ins Krankenhaus gekommen war, und unten in der Erde schwollen die Knollen an, gelb und zart. Die Ratten fraßen die ganzen Nächte hindurch die Kartoffeln. Stopften sie in sich hinein, nagten, schmatzten, und schlichen sich dann pottsatt zurück in ihre Verstecke.
Es war keine Zeit zu verlieren. Innerhalb einer halben Stunde hatte ich ein rostiges Benzinfass organisiert und verbrachte den größten Teil des Nachmittags damit, es mit einer Bogenfeile zu zersägen. Dann hieß es nur noch graben. Mitten auf der Autobahn. Die Erde schaufelte ich in eine Schubkarre und kippte sie im Wald aus. Nach viel Mühe und Schweiß konnte ich das Benzinfass in das Loch versenken und rundherum mit Erde feststopfen. Dann trug ich einen Eimer Wasser nach dem anderen vom Brunnen heran, bis das Fass gut halb voll war.
Inzwischen war es Abend geworden. Die Schreibmaschine war verstummt, der Hauseingang lag verlassen da. Ich klopfte mit den Rattenschwänzen in der
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